Die Oper Manru von Ignacy Jan Paderewski (1860–1941) ist heute eine ambitionierte Ausgrabung. Dabei war sie nach ihrer Uraufführung –1901 in Dresden unter Ernst von Schuch – ein Sensationserfolg des damaligen Pianisten-Weltstars.
Dass das Werk nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwand, lag am politischen Engagement des Komponisten für die staatliche Wiedergeburt Polens. Er geriet zwischen die Fronten - den Polen war er zu deutsch, den Deutschen zu polnisch. Bis 1920 war Paderewski der erste Ministerpräsident und Außenminister des wiederbegründeten Polens und unterzeichnete in dieser Funktion 1919 den Versailler Vertrag für seine Heimat.
WAGNERFORMAT An der Kompostion selbst es nicht gelegen. Die hat eine emotionale Durchschlagskraft, die bei einem heute mit Spätromantik und Verismo vertrauten Opernpublikum direkt ankommt! Da gibt es sehr eigenständig (nach-)erfundene Folklore mit großen Chören. Aber sie steigert sich auch atemberaubend ins Wagnerformat. Nordeuropäischer Verismo auf den Schultern Wagners - so ungefähr. Es ist ein Sound mit Suchtpotenzial.
Das deutschsprachige Libretto stammt von dem jüdische Publizisten und Aktivisten Alfred Nossig (1864–1943). In Lemberg (Lviv) geboren, führte ihn sein bewegtes Leben an die Seite von Theodor Herzl. Mit dem Begründer des politischen Zionismus überwarf er sich allerdings gründlich. Über etliche Umwege wurde der einstige Opernlibrettist dann 1939 auf Befehl der Gestapo von der Jüdischen Gemeinde in Warschau als Leiter der Abteilung Kultur und Künste angestellt und vier Jahre später von der jüdischen Untergrundorganisation im Ghetto als Spitzel hingerichtet.
ENDREIM In Manru passen Text und Musik haargenau. Im Detail mit einer ausgeprägten Neigung zum Endreim. Auf Herz folgt Schmerz. Manru entstammt der Roma-Sippe der Erumanuels, sie ist ein Bauernmädchen. Als Paar leben sie isoliert, weil sowohl die bäuerliche Dorfgemeinschaft als auch die Roma vehement gegen diese Verbindung sind und beide verstoßen haben.
Es geht zwar um die im Libretto zigfach so benannten Zigeuner, ihr Selbstverständnis beziehungsweise die Klischees, die die anderen mit ihnen verbinden. Aber es geht generell um Konflikte in einer Gesellschaft. Diese Roma könnten auch für Juden oder andere Gruppen stehen. (Im Programmheft wird der Umgang mit der brisanten Vokabel »Zigeuner« unter der Überschrift zwischen »Rufmord und Verklärung« ausführlich erörtert.)
So wie der Grundkonflikt mit einer scheiternden Liebe verbunden ist, würde das Ganze szenisch einen beherzten Zugriff auf oder durch die zeitlichen und inhaltlichen Schichtungen ermöglichen, ja erfordern. Leider bleibt das die Inszenierung von Katharina Kastening komplett schuldig. Das ist der Schwachpunkt dieses ansonsten so beachtlichen Projektes.
TRENNWAND Die Bühne von Ausstatter Gideon Davey besteht aus einer schwebend-beweglichen durchscheinenden Trennwand. Dahinter gibt es zwei Glasboxen als Hütte der Kleinfamilie mit Kind. Die Bauernbevölkerung kommt als festlich aufgehübschte Hochzeitsgesellschaft von heute daher. Bei den Roma ist das Ganze etwas bunter. Dazu gibt es eine Chorregie und Personenführung, die eher arrangiert und zum Teil recht unbeholfen wirkt. Hier scheitert »nur« ein Emanzipationsversuch zweier Liebender, die ihren sozialen und kulturellen Prägungen letztlich nicht entkommen.
Musikalisch glänzt vor allem die Staatskapelle unter ihrem ersten Kapellmeister Michael Wendeberg. Thomas Mohr ist ein wagnertenoral strahlender Manru, Romelia Lichtenstein eine berührende Ulana. Am Ende werden neben dem Orchester das ganze Ensemble und die Chöre zu Recht vom Premierenpublikum gefeiert. Fazit: Ein Ausgrabung, die auf jeden Fall lohnt und nirgendwo sonst live zu erleben ist!
Nächste Vorstellungen: 27. März, 1. April, 22. April, 22. Mai und 30. Juni