»Berlin 1936«

Sommer der Widersprüche

Berlin, am 13. August 1936: Im Garten des Reichsluftfahrtministeriums feiert Hermann Göring anlässlich der Olympischen Spiele ein rauschendes Fest. Diplomaten und Regierungsvertreter ausländischer Staaten sind ebenso unter den Gästen wie Vertreter des Internationalen Olympischen Komitees und Sportler. Unter Letzteren ist auch die US-Schwimmerin Eleanor Holm Jarrett.

Göring in seiner weißen Fantasieuniform plaudert zuerst angeregt mit der trinkfreudigen Weltrekordhalterin, dann verleiht er ihr spontan einen »Orden«, ein silbernes Hakenkreuz. »Ich hatte einen Riesenspaß und liebte die Partys, die ›Heil Hitlers‹, die Uniformen und Flaggen«, erinnert sich die so Ausgezeichnete später. »Göring war witzig und sympathisch, wie auch der andere mit dem Klumpfuß.«

Propaganda »Witzig und sympathisch« – die US-Schwimmerin war beileibe nicht die Einzige, die sich von der aufwendigen Charmeoffensive der Olympischen Spiele 1936 blenden ließ. Bei den Wettkämpfen in Berlin präsentierte sich das NS-Regime den Besuchern aus aller Welt erfolgreich als weltoffen und friedensliebend.

Für Hitler waren die Spiele daher ein »gigantischer Propagandagewinn«, wie Oliver Hilmes in seinem Buch Berlin 1936 resümiert. Eindrucksvoll schildert der Historiker und Publizist darin, wie allein schon die perfekte Organisation der Spiele mit fast 4000 Teilnehmern aus 49 Nationen die Besucher überwältigte. Ganz zu schweigen von technischen Neuerungen wie den erstmals eingesetzten Unterwasserkameras und den öffentlichen Berliner Fernsehstuben, in denen die Wettbewerbe nur mit 85-sekündiger Verzögerung zu sehen waren.

Für Hitlers Olympia durfte mit der Fechterin Helene Meyer sogar eine Alibijüdin für Deutschland antreten, und Goebbels wies die Presse extra an, fair zu berichten. Natürlich wurden auch die zig Hundert Berliner Zeitungskästen mit der Hetzschrift »Der Stürmer« vorübergehend abmontiert, wollte man die ausländischen Besucher doch nicht mit antisemitischen Karikaturen irritieren. Selbst erfahrene Diplomaten begannen, daher plötzlich auf einen dauerhaften Frieden zu hoffen – dabei befahl der Diktator, der bei der Eröffnung 20.000 Friedenstauben aufsteigen ließ, hinter den Kulissen, in vier Jahren hätten Wehrmacht und Wirtschaft kriegsfähig zu sein.

Einfühlend Für Oliver Hilmes war der August 1936 daher ein »Sommer des Widerspruchs«. Hilmes fängt diese Widersprüche ein, indem er – ähnlich wie Florian Illies in seinem Buch 1913, gestützt auf Tagebücher und sein Einfühlungsvermögen als erfahrener Biograf – Geschichte als aufregendes Zeitmosaik erzählt, aus der Sicht von Künstlern, Sportlern, Nazi-Größen und Regimeopfern.

Jedes der 16 Kapitel ist dabei einem Olympiatag gewidmet, und unter den Helden finden sich ebenso der junge Marcel Reich-Ranicki wie die Dichterin Mascha Kaléko. Ein großes Leseerlebnis – nicht nur während der Olympischen Spiele, die diese Woche zu Ende gehen.

Oliver Hilmes: »Berlin 1936. Sechzehn Tage im August«. Siedler, München 2016, 304 S., 19,99 €

Veranstaltungen

Sehen. Hören. Hingehen.

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 21. November bis zum 28. November

 21.11.2024

Liedermacher

Wolf Biermann: Ein gutes Lied ist zeitlos gut

Er irre sich zuweilen, gehöre habe nicht zu den »irrsten Irrern«, sagt der Liedermacher

 21.11.2024

Nachruf

Meister des Figurativen

Mit Frank Auerbach hat die Welt einen der bedeutendsten Künstler der Nachkriegsmoderne verloren

von Sebastian C. Strenger  21.11.2024

Berlin

Ausstellung zu Nan Goldin: Gaza-Haltung sorgt für Streit

Eine Ausstellung würdigt das Lebenswerk der Künstlerin. Vor der Eröffnung entbrennt eine Debatte

von Sabrina Szameitat  21.11.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024

Meinung

Maria und Jesus waren keine Palästinenser. Sie waren Juden

Gegen den Netflix-Spielfilm »Mary« läuft eine neue Boykottkampagne

von Jacques Abramowicz  20.11.2024

Berlin

Von Herzl bis heute

Drei Tage lang erkundet eine Tagung, wie der Zionismus entstand und was er für die jüdische Gemeinschaft weltweit bedeutet

 20.11.2024

Antisemitismus

»Verschobener Diskurs«

Nina Keller-Kemmerer über den Umgang der Justiz mit Judenhass und die Bundestagsresolution

von Ayala Goldmann  20.11.2024