Bar Zemach

Solist am Schofar

Israeli mit Mission: Bar Zemach (25) spielt den jemenitischen Schofar seines Großvaters, der aus dem Horn einer Kudu-Antilope hergestellt ist. Foto: Stephan Pramme

Freundlich und formvollendet: Der junge Mann betritt das Zimmer in dunklem Zweireiher und im weißen Hemd . Mit seinen Instrumenten ist der mittelgroße, bärtige Israeli schwer bepackt. In der Rechten hält er einen wuchtigen, schwarz bezogenen Kasten, ein meterlanges graues Stoffetui ist über die linke Schulter geschlungen.

Kaum dass Bar Zemach sich vorgestellt hat, holt er aus dem schwarzen Kasten ein goldglänzendes, rund gebogenes Gestänge und fügt es zum »Horn« zusammen. Der traumhaft sichere Schwung, mit dem der 25-Jährige die »Glocke« in den Röhren- und Ventilteil seines Instruments eindreht, verweist auf tägliche Praxis. Dann wird der Schofar vorsichtig dem Futteral – »von meiner Mutter genäht« – entnommen und sorgsam auf den Tisch gelegt.

Bar Zemach ist Sohn von Musikern in Israel. Sein Vater arbeitet als Solotrompeter im Opernorchester von Tel Aviv, die Mutter ist Flötistin. »Sein« Instrument hat der heutige Hornist bereits als Dreijähriger an der Wand des elterlichen Wohnzimmers entdeckt. Mit sechs Jahren konnte er auf dem Horn zu Purim im Soldatenkostüm den Marsch der israelischen Armee (IDF) vortragen. Als Zehnjähriger wurde das Musikerkind zum Kinderpopstar von »Keshet TV« und von Matti Caspi gecoacht. Nach dem Stimmbruch wandte sich Bar Zemach erneut dem Horn zu.

Der Schofar als unverfälschtes Ur-Horn ist nicht für abgestufte Tonwerte gedacht

Nun schickt er sich an, den Schofar aus der angestammten Synagoge als Soloinstrument auf der klassischen Konzertbühne einzuführen. Ein kühnes Unterfangen, weil die geeignete Konzertmusik für dieses Instrument erst noch komponiert werden muss – und weil der Schofar als unverfälschtes Ur-Horn nicht für die abgestuften Tonwerte gedacht ist, die sich auch auf modernen Instrumenten nur mit gehörigem technischem Aufwand erzeugen lassen. Dass Bar Zemach dies dennoch überzeugend und scheinbar mühelos zustande bringt, erfolgt, wie ein Mit-Hornist anmerkte, im Grunde »gegen die Gesetze der Physik«, als »akustisches Gaukelspiel«.

Was Bar Zemach auf dem Ur-Horn macht, ist im Grunde »gegen die Gesetze der Physik«.

Doch Zemach – ganz Musiker und gar nicht Zauberkünstler – will demonstrieren, wie er das macht, und erzeugt dabei Tonleiter-ähnliche Schnarrgeräusche mit dem Mund. Der Rest sei, dem klassischen Musiker-Mantra entsprechend, »üben, üben, üben«. Was für einen Hornisten schon wegen der Nachbarn kein einfaches Unterfangen sein dürfte, auch wenn Zemach soeben eine dafür geeignete Berliner Wohnung gefunden hat. Er halte sich an das Hornisten ärztlich empfohlene Maximum von vier Stunden täglich – und habe zudem eine Technik entwickelt, sich ein Stück durch stundenlanges Studium zunächst gedanklich zu erarbeiten, sodass er erst dann zum Instrument zu greifen brauche, wenn er alles »mit den Ziffern und so weiter« im Kopf habe.

Wie kommt ein junger Hornist aus Israel nach Deutschland? Durch den »deutschen Hornklang«, der, wie er versichert, einmalig sei und ihn seit seiner Jugend davon träumen ließ, in einem deutschen Orchester zu spielen – ebenso wie die »schönen Konzertsäle«, in denen man in Deutschland musiziere.

Deutsch lernte er bereits nach dem Militärdienst in Israel im Goethe-Institut

So lernt er, mit dem ihm eigenen konsequenten Fleiß (er nennt es: »Leidenschaft! Leidenschaft!«) bereits in Israel nach dem Militärdienst im Goethe-Institut die deutsche Sprache, in der er sich heute flüssig ausdrückt. Und schließt seine Ausbildung in Deutschland ab, um es nach einem Zwischenspiel als Stellvertretender Solohornist bei den Düsseldorfer Symphonikern ins West-Eastern Divan Orchestra von Daniel Barenboim zu schaffen, den er respektvoll »Maestro« nennt.

Für Zemach ist dessen Orchester eine »Friedensbotschaft pur«. Die arabisch-israelischen Musiker kämen bei der Arbeit gut miteinander aus und seien auch privat befreundet, sagt er, obgleich sie, wie eine israelische Kollegin, deren Schwester bei einem Terrorangriff ermordet wurde, vom Konflikt unmittelbar betroffen sind. Unlösbares bleibe dabei auch einmal ausgespart, »es muss nicht alles auf den Tisch gelegt werden«.

Aus Zemachs Sicht ist es Deutschland und Israel gelungen, nach der Nazi-Katastrophe eine »Liebes- und Friedensbrücke« zu errichten, die ihn »jeden Tag, wieder und wieder« inspiriere. Eine Idealvorstellung, über deren irdisch beschränkte Umsetzung er sich keinen Illusionen hingebe, zu der er aber mit seiner Kunst beitragen möchte. Bar Zemach begreift sich zunächst als »Israeli« und als »jüdisch«, einem Land und einer Kultur zugehörig, die seine Persönlichkeit grundlegend geprägt haben, was ihm als Identität so wichtig ist, dass er dem sogar sein Musikertum unterordne. Durch den Schofar könne er das eine mit dem anderen verbinden.

Den Auftrag, dem Schofar einen Platz im Konzertsaal zu schaffen, erhielt er von seinem Großvater beim ersten Solisten-Auftritt mit dem Israeli Philharmonic Orchestra (und nach Gewinn eines Wettbewerbs) ebenso wie den wunderschönen, aus dem Horn der Kudu-Antilope gefertigten jemenitischen Schofar; auf diesem konzertiert er nun, die schwere Stahluhr des Großvaters am Handgelenk. Der Naturwissenschaftler und Mitbegründer der Negev-Universität wuchs als Aleksander-Chassid in Mea Schearim auf und sehnte sich nach dem Klang des Schofars, den er so oft in der Synagoge seiner Jugend gehört hatte.

Die erste öffentliche Darbietung des Enkels mit dem Schofar erfolgte ausgerechnet auf dem Potsdamer Pfingstberg, wo sich seit dem 18. Jahrhundert ein jüdischer Friedhof befindet. Bar Zemach, dem an der strengen Kaschrut (»Heiligkeit«) seines Instruments gelegen ist – er spielt den Schofar anders als seine weltliche Musik stets mit Kippa –, fragt bei der Chewra Kadischa nach und erfährt, dass der Schofar als einziges Musikinstrument tatsächlich auf einem jüdischen Friedhof gespielt werden darf.

Mit Giora Feidman tourte er als Horn- und Schofar-Spieler durch Europa

Das Konzert wird unerwartet vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) übertragen und trägt nicht wenig zur Popularisierung seines Schofar-Spiels bei. Bar Zemach tourt als Horn- und Schofar-Spieler mit Giora Feidman durch Europa und wird, neben seinen Konzertauftritten, bereits als Lehrer von »Meisterklassen« berufen.

Wie sehr sich bei ihm das Private und das Musikalische verbinden, zeigt seine von ihm als Bewältigungsversuch des Schocks vom 7. Oktober 2023 verstandene Erarbeitung des Solohornstücks Cynddaredd – Brenddwyd des Gegenwartskomponisten Heinz Holliger, das er auch auf YouTube gestellt hat. Das sechsminütige Musikstück (Gälisch für »Wut-Traum« oder »Albtraum«), das die Grenzen des Doppelhorns voll auslotet, überträgt, jedenfalls in Bar Zemachs Deutung, etwas von der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit angesichts des Unfassbaren, soweit sich dies musikalisch erfassen lässt.

Die »Niggun David-Fantasie für Schofar und Orchester« von Amir Shpilman wurde eigens in Auftrag gegeben.

In knapp einem Monat wird der junge Solist im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie ein Konzert mit dem Sinfonie Orchester Berlin geben, Dirigent ist Igor Budinstein. Es ist das einzige privatwirtschaftlich und ohne Subventionen betriebene Berliner Orchester, das vom Hornisten Viktor Hohenfels gegründet worden war und nun vom Hornisten Bogdan Sikora geleitet wird.

Nach einer eigens in Auftrag gegebenen »Niggun David-Fantasie für Schofar und Orchester« von Amir Shpilman, »ein Stück mit einfacher Harmonie und Melodie, das auf der aschkenasischen Melodie des Schema Israel beruht«, wird Bar Zemach das kurze, zweiteilige D-Dur-Hornkonzert von Mozart aufführen; den ersten Satz auf einem »Naturhorn« ohne Ventile, wobei er die erforderlichen Zwischentöne, wie zu Mozarts Zeiten, durch »Stopftechnik«, also durch eine Veränderung der Hornlänge mittels Handbewegungen im »Trichter« erzeugt.

Im zweiten Satz wechselt er zum 1830 entwickelten und von den Wiener Philharmonikern bis heute benutzten »Wiener Horn« mit seiner besonderen Klangqualität. Und schließlich präsentiert er bei Mozarts »Hornquintett in Es-Dur«, das als »Concerto grosso« mit vollem Orchester gespielt wird, das moderne Doppelhorn mit seiner raffinierten Ventilklappentechnik und großem Tonumfang. Eine musikalische Reise also durch die Geschichte des Horns – und, so hofft vielleicht nicht nur Bar Zemach, auch in die Zukunft des Schofars im Konzertsaal.

»Magie des Hornklangs«: Das Konzert für Schofar und Orchester von Amir Shpilman wird am Samstag, dem 22. März, im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie uraufgeführt.

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