Herr Kehlmann, Sie haben das neue Buch des israelischen Autors Etgar Keret, »Die sieben guten Jahre«, übersetzt. War dies Ihre erste Arbeit als Übersetzer?
Nicht ganz. Ich habe schon das Theaterstück The Talking Cure von Christopher Hampton übersetzt, das im Theater in der Josefstadt in Wien unter dem gleichen Titel lief wie der Film, den David Cronenberg nach diesem Stück gedreht hat, nämlich Eine dunkle Begierde. In dem Stück geht es um die Beziehung zwischen Sigmund Freud und C.G. Jung. Aber Etgars Buch war das erste Mal, dass ich Prosa übersetzt habe.
Wie kam es dazu? Seine früheren Bücher hatten ja andere Übersetzer.
Mussten sie auch, denn sie sind aus dem Hebräischen übersetzt. Deswegen werde ich nicht von jetzt an Etgars regelmäßiger Übersetzer sein können, weil ich kein Hebräisch kann. Es ist ein Sonderfall, dass dieses Buch auf Wunsch des Autors aus dem Englischen übersetzt werden sollte. Soweit ich weiß, haben Etgar und der S. Fischer Verlag überlegt, wer das machen könnte, und sind auf mich gekommen. Sie haben mir das Buch geschickt, noch nicht in der endgültigen, sondern in einer vorläufigen Arbeitsfassung, und mir hat es sofort sehr gefallen. Ich dachte gleich, es könnte ein interessanter Teil meiner literarischen Arbeit sein, mal etwas zu übersetzen. Und ich habe auch gedacht: Es ist kein sehr langes Buch, also keine Arbeit, die einen für Jahre von anderen Dingen abhält. Ich war einfach neugierig.
Warum sollte das Buch aus dem Englischen statt aus dem Hebräischen übersetzt werden?
Das erklärt Etgar in der Schlussbemerkung zur deutschen Ausgabe. Er hat das Buch zunächst auf Hebräisch geschrieben. Aber es war ihm sehr bald klar, dass es nicht in Israel erscheinen sollte, weil es zu persönlich war und zu viel über seine eigene und seine Familiengeschichte darin ist, und ich glaube auch zu viel, was er im israelischen Kontext als zu kontrovers empfunden hat. Das Konzept des Buches ist nun also, dass es nur in Übersetzungen erscheint und nicht in Israel. Weil einige der Texte zuvor in englischsprachigen Magazinen veröffentlicht wurden, hat er mit seinen englischen Übersetzern und Lektoren noch sehr viel daran gearbeitet, sodass eine neue englische Fassung entstanden ist, von der Etgar Keret will, dass sie allen Übersetzungen zugrunde gelegt wird. Normalerweise finde ich es problematisch, wenn Texte aus einer Übersetzung weiterübersetzt werden. Das war der einzige Grund, weshalb ich zunächst ein bisschen skeptisch war. Aber die englischen Texte, wie sie vorlagen, hatten sich von den ursprünglichen hebräischen Texten unter Mitarbeit des Autors ziemlich weit entfernt, und es war ausdrücklich sein Wunsch, diesen Text als die Originalfassung zu betrachten.
Wie sind Sie an die Arbeit des Übersetzens herangegangen?
Es gibt grundsätzlich zwei Ansätze beim Übersetzen. Der eine ist der, dass man versucht, so exakt wie möglich alles wiederzugeben, wie man es im Original findet, auch wenn man denkt, das hätte ich vielleicht anders gemacht. Das habe ich bei dem Theaterstück so gehalten. Die andere Möglichkeit ist, dass man jede Möglichkeit, eine Pointe zu verstärken oder im Deutschen klarer herauszuarbeiten, dankbar und fröhlich nutzt. Ich habe Etgar gleich zu Anfang gefragt, was er möchte. Und Etgar hat ganz klar gesagt, er möchte ein Buch, das auf Deutsch so gut funktioniert, wie ich das überhaupt nur machen kann. Das heißt, er wollte gar nicht, dass sein Original in allen Nuancen philologisch genau wiedergegeben wird, sondern er wollte einen Text, der auf Deutsch so viel Kraft, Energie und Witz hat wie möglich. Von Anfang an habe ich ihn öfters gefragt: Hier könnte man auf Deutsch dies und jenes machen, soll ich das tun? Er hat immer Ja gesagt. Ich bin durch Etgars Ermutigungen in der Arbeit immer freier geworden. Weil ich wenig Erfahrung beim Übersetzen habe, war ich am Anfang sehr vorsichtig und habe mir erst allmählich immer mehr kleine Freiheiten herausgenommen. Später habe ich den Anfang natürlich wieder überarbeitet mit dieser neuen Freiheit.
Ist solche Freiheit beim Übersetzen nicht problematisch?
Es ist natürlich ein großer Unterschied, ob man einen toten Autor übersetzt beziehungsweise einen Autor, zu dem man keinen Kontakt und keine Verbindung hat, oder einen lebenden Schriftsteller der gleichen Generation wie Etgar Keret, der einem im Vertrauen darauf, dass man ein Kollege ist, diesen Auftrag gibt und sagt: Mach, was du für richtig hältst. Ich weiß, dass der Übersetzer immer sekundär ist, aber ich bin dadurch doch mit einer gewissen Freiheit an die Arbeit gegangen, die ich mir bei Jane Austen oder Charles Dickens nicht genommen hätte.
Das heißt, Sie haben schon ihre eigene Stimme als Schriftsteller sprechen lassen können?
Ja, das war ja letztlich auch mein Auftrag. Deswegen hatte man ja mich gefragt und keinen Profi-Übersetzer.
Kann Etgar Keret Deutsch lesen und das Ergebnis überprüfen?
Nein, kann er nicht. Es war also ein großer Vertrauensvorschuss. Ich muss dazu sagen, es sind alles Kleinigkeiten, Sie werden sicher keine gewaltigen Abweichungen finden, wenn Sie die Texte nebeneinanderlegen. Es geht in der Praxis immer wieder um die Frage, wie man eine bestimmte Wendung wiedergibt. Bleibt man eng an der englischen Phrase, oder findet man einen ähnlichen Effekt durch eine leichte Abweichung? Es ist nicht so, dass ich nach Gutdünken etwas umgeschrieben hätte. Es geht wirklich um Feinheiten. Wenn man ein Buch übersetzt, ist das kein Ort, wo man sich selbst realisieren kann oder soll. Das ist ja das Schöne an der Arbeit, es hat so etwas Handwerkliches. Man beschäftigt sich mit Sprache, tritt aber selbst in den Hintergrund.
Mussten Sie Ihre eigene Kreativität gelegentlich zügeln?
Es war eher so, dass ich mich zur Freiheit ermuntern musste. Mir war es immer bewusst, dass man als Übersetzer in einer unterstützenden Funktion arbeitet. Man arbeitet wirklich in einem anderen Modus, als wenn man eigene Geschichten erfindet. Das Zügeln der eigenen Kreativität ist da sozusagen schon eine Vorentscheidung. Was ich wirklich faszinierend fand: Ich glaube schon, dass ich mich sowohl im Englischen als auch im Deutschen ganz gut auskenne, aber habe beim Übersetzen doch gemerkt, wie viele kleine Probleme es in beiden Sprachen plötzlich zu lösen gibt – Probleme, mit denen man in dieser Form nie zu tun hat, wenn man kreativ schreibt. Das war eine echte Herausforderung.
Hat der Blick des Übersetzers Ihr eigenes Schreiben beeinflusst?
Das Übersetzen als Tätigkeit nicht so sehr, was aber durchaus ein Einfluss ist, den ich gerne und dankbar annehme: dass ich mich sehr intensiv mit dem Buch eines großartigen Kollegen beschäftigt habe. Etgar Keret ist einer der wichtigsten Schriftsteller meiner Generation, ich hatte ihn auch vorher schon gelesen, aber natürlich nicht so genau. Dieser intensive Umgang mit der Arbeit eines Kollegen, das ist natürlich ein großer Einfluss. Ich bin sicher als Autor jetzt etwas kerethafter, als ich es war.
Wie lief die Zusammenarbeit ab? Haben Sie sich persönlich getroffen?
Nein, wir haben uns währenddessen mal kurz auf der Buchmesse in Budapest getroffen, aber die Zusammenarbeit lief ausschließlich über E-Mail. Ich habe Etgar Fragen gemailt, und egal, wo er gerade war in der Welt, er reist ja sehr viel, hat er immer sofort und sehr liebenswürdig und witzig genantwortet. Wir haben immer wieder ausgemacht, dass wir uns jetzt aber wirklich bald zu einem langen Abendessen zusammensetzen müssen, aber bisher haben wir das nicht geschafft, weil wir beide so viel unterwegs sind. Es hat etwas Schönes, finde ich, dass unsere Freundschaft im Wesentlichen in dieser Zusammenarbeit besteht. Obwohl wir außerhalb dessen nicht viel miteinander zu tun hatten, habe ich jetzt das Gefühl, Etgar sehr gut zu kennen, und vielleicht geht es ihm mit mir ebenso. Es ist ein enorm persönliches Buch, im Grunde eine sehr kunstvolle, in Miniaturen verschlüsselte Autobiografie, und die Fragen, die ich ihm stellen musste, waren daher auch sehr persönliche Fragen: Wie war das jetzt wirklich mit deiner Schwester oder deinem Bruder oder deiner Militärzeit? Dadurch hatten wir sehr persönliche Gespräche, die sich aber immer um das Buch drehten. Es ist ein außergewöhnlich intimes Buch, das aus diesem Grund auch nicht in Israel erscheint. Er beschreibt das schön im letzten Kapitel: Es gibt eine Art des Persönlichwerdens, das am besten mit Leuten funktioniert, die man überhaupt nicht kennt. Er bringt das Bild von einem Gespräch in der Eisenbahn. Man kann mit dem zufälligen Mitreisenden so offen reden, weil man weiß, er steigt gleich aus, und man sieht ihn nie wieder. Diese Reisenden, die man nie wiedersieht, sind für ihn die Leser der Übersetzungen, im Gegensatz zu den israelischen Lesern.
Werden Sie zum Übersetzen zurückkehren, haben Sie Blut geleckt?
Mir macht das großen Spaß, ich werde das sicher tun, ich habe auch eine feste Verabredung mit Christopher Hampton, noch andere Stücke von ihm zu übersetzen. Aber Prosa übersetzen ist sehr zeitintensiv, das habe ich jetzt gemerkt. Selbst für ein so kurzes und vergleichsweise einfaches Buch braucht man viel mehr Zeit und Hingabe, als ich mir das zu Anfang vorgestellt hatte. Wenn man nicht hauptberuflich übersetzt, kann man das nur sporadisch machen, weil es so zeitaufwendig ist. Ich werde es sicher wieder tun, aber nicht sofort.
Mit dem Schriftsteller (»Die Vermessung der Welt«) sprach Ingo Way.