Zugegeben, ich hatte bereits beschlossen, mir etwas Gutes zu tun und fortan Augen und Ohren zu verschließen, sobald der Name Kanye West, Ye oder auch menschenverachtender, durchgeknallter Vollidiot, in den Schlagzeilen auftaucht.
Ja, er hat mal gute Musik gemacht. Ja, ich besitze sogar zwei Alben. Aber angesichts des anschwellenden Antisemiten-Gesangs war irgendwann Schluss mit der akademisch antrainierten Trennung von Kunst und Künstler. Sein Name sei vergessen. Bis mir immer wieder dieses Video zugeschickt wurde.
In sanft-sattem Schwarz-Weiß kommen mir Scarlett Johansson, Jerry Seinfeld, Natalie Portman, Lenny Kravitz, Mark Zuckerberg - insgesamt 20 Stars mit jüdischen Wurzeln aus dem Unterhaltungs- und Hightech-Olymp entgegen. Elegant wie Katzen, wissend lächelnd, unfassbar cool, über den Dingen stehend. Und alle tragen ein kuscheliges weißes T-Shirt, das piktogrammhaft eine Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger zeigt - Nein, kein Hamza, Mama! -, in der Mitte davon ein Davidstern und darunter einfach nur »Kanye«.
Weder Johansson noch Spielberg haben vor der Kamera gestanden
Unterlegt ist das wunderbare »Geh doch zur Hölle«-Defilee mit einer Elektroversion von »Hava Nagila«. Und während Steven Spielberg grinsend die Beine übereinanderschlägt, und Lisa Kudrows Lächeln süßer ist als eine Sufganja-Füllung, wird mir warm ums Herz, und die Anspannung der vergangenen 495 Tage voller Horrornachrichten, Angst, Enttäuschung, Heulattacken und Kopfschmerzen, dieses »Jeden Tag wird es immer noch schlimmer« weicht, wenn auch nur kurz. Aber sie weicht ein bisschen.
Nein, weder Johansson noch Zuckerberg oder Drake und Portman haben wirklich vor der Kamera gestanden. Und Johansson hat auch schon voller Wut reagiert, dass ihr Abbild mal wieder ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung benutzt wurde. Denn das Video, das natürlich ratzfatz viral ging, ist das Produkt eines israelischen Artificial-Intelligence-Produzenten, der sich besonders gut mit generativer KI auskennt.
Das Video von Ori Bejerano war die Antwort auf Wests antisemitische Dauerbeschallung, die gerade in einer Super-Bowl-Werbung für eine Webseite, auf der ein T-Shirt mit Hakenkreuz verkauft wurde, kulminierte.
Allein das zu schreiben, regt mich schon wieder unglaublich auf. Aber dann schaue ich mir einfach noch ein paar Mal das Ende von Bejeranos Video an, wo ein AI-generierter Adam Sandler einen AI-generierten Mittelfinger in die Kamera hält.