Er steht wieder auf der Bühne: Vier Jahre nach seinem Cancel-Culture-Skandal wagt der schwedische Musiker Gustav Gundesson ein Comeback. Zwar wurde dem abgehalfterten Star mit hellblonder Perücke, Cowboystiefeln und einem fatalen Hang zu Ethno-Klängen nahegelegt, auf Roma-Musik zu verzichten, und auch Klezmer will der alternde Schwede (trotz vaterjüdischer Frau) vorerst nicht mehr zu Gehör bringen.
VORWÜRFE Denn die Vorwürfe gegen Gundesson, vorgetragen als Frauengesang von einem Anklägerinnen-Trio mit bunten Masken, klingen heftig: »Kulturelle Aneignung, rassistische Auslegung, Missbrauch und Degradierung, Ausbeutung, deklariert als Kooperation …«
Slippery Slope von Yael Ronen, Shlomi Shaban, Riah May Knight und Itay Reicher am Berliner Gorki-Theater erzählt als »fast ein Musical« die Geschichte einer Rutschpartie – visualisiert durch einen abschüssigen Steg. Gundesson (Lindy Larsson), unglücklich verheiratet mit der machthungrigen Chefredakteurin Klara (Anastasia Gubareva), beginnt eine Affäre mit der 18-jährigen Roma-Sängerin Sky (Riah May Knight).
TIKTOK Wenig später muss er feststellen, dass Sky einen anderen prominenten Förderer sowie 90 Millionen Follower auf TikTok gefunden hat. In einem angeblich von Fortnite (!) gesponserten Online-Talk behauptet Sky, sie verdanke Gustav viel, doch habe er sie ausgenutzt und ein »Roma-Klischee« bedient. Im Chat beantwortet die Sängerin alle Fragen von Fans nach zukünftigen Konzerten – nur auf Israel als Auftrittsort möchte sie sich lieber nicht festlegen. »Löschen, blockieren, mehr Emojis!« ist ihre Devise.
Infolge von »Tipps aus dem Umkreis seiner Mitarbeiter« wird Gustav ein Musikpreis vorenthalten. Die feministische Journalistin Stanka Sto (Vidina Popov), Angestellte von Klara, wittert eine Enthüllungsstory. Doch Sky, die sich in einem genial-grässlichen Kuscheltier-Kostüm (Amit Ebstein) mit Stanka trifft, sieht sich nicht als Missbrauchsopfer.
KRISENSTRATEGIE Auch Klara, die ihren Posten durch Verzicht auf eine #MeToo-Story ergatterte, weckt keine Sympathien. Einziger Gewinner der dystopischen Soap ist der windige PR-Experte Kahn (Emre Aksizoglu), der Klara als Krisenstrategie die Scheidung von Gustav verkauft.
Slippery Slope handelt Identitätspolitik, Pervertierung von Feminismus und Social-Media-Wahn in einem schrillen, optisch blendenden und musikalisch überragenden Abend kompakt ab. Allerdings sind sämtliche Figuren so verlogen und unsympathisch, dass man sie nicht länger als 90 Minuten ertragen könnte.