Die Bundesregierung und der Zentralrat der Juden haben sich kritisch über die jüngste Aktion des umstrittenen Künstlerkollektivs »Zentrum für Politische Schönheit« (ZPS) geäußert. Teil der Aktion nahe dem Berliner Reichstagsgebäude ist eine Stahlsäule, die nach Angaben der Gruppe Asche von Opfern der Massenmorde der Nazis enthält.
Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer nannte die Aktion am Dienstagnachmittag »außerordentlich pietätlos und geschichtsvergessen«. In einem Tweet des Zentralrats von Dienstagmorgen heißt es: »Die jüngste Aktion von @politicalbeauty ist aus jüdischer Sicht problematisch, weil sie gegen das jüdische Religionsgesetz der Totenruhe verstößt. Sollte es sich tatsächlich um Asche von Schoa-Opfern handeln, dann wurde die Totenruhe gestört.«
SKANDAL Auch andere jüdische Organisationen und Einzelpersonen lehnen die Aktion ab. Sie sei »nicht nur eine skandalöse Störung der Totenruhe. Die Asche der Ermordeten eignet sich ebenso nicht für schiefe historische und politische Vergleiche. Die Opfer werden so nochmal entwürdigt und entmenschlicht«, twitterte das American Jewish Committee.
Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Uwe Becker forderte am Dienstag den sofortigen Abbau der Installation. »Mit ihrer vermeintlichen Kunstaktion vor dem Reichstagsgebäude in Berlin überschreiten die Künstler des Zentrums für Politische Schönheit jedwede Grenze von Anstand und Respekt. Hier werden die Opfer des industriell organisierten Massenmordes als Kunstprodukt missbraucht und in billiger Form instrumentalisiert«, sagte Becker.
»Das ist völlig geschmacklos und sollte umgehend abgebaut werden«, fordert DIG-Präsident Uwe Becker.
EMPÖRUNG Das sei »völlig geschmacklos und sollte umgehend abgebaut werden«, forderte Becker. Provokation müsse dort enden, »wo die Würde des Menschen, auch jene von Ermordeten, verletzt wird«.
Auch der Autor Eliyah Havemann äußerte sich empört. Er twitterte: »Da ist vielleicht auch die Asche meines Großvaters mit drin und das erschauert mich.«
Der Publizist und Journalist Richard C. Schneider twitterte: »Das sogenannte ›Zentrum für Politische Schönheit‹ hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ist das die Asche meiner Großeltern, meiner Onkel und Tanten? Oder vom Rest der Familie, der vergast und verbrannt wurde? Irrsinn. Immer mehr. Überall.«
Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, kritisiert die Aktion: »Auschwitz-Überlebende sind bestürzt darüber, dass mit diesem Mahnmal ihre Empfindungen und die ewige Totenruhe ihrer ermordeten Angehörigen verletzt werden.«
Auch der Historiker Stephan Lehnstaedt reagierte empört. Der Professor für Holocaust-Studien und Jüdische Studien am Touro College Berlin sagte der Jüdischen Allgemeinen, er fände es »total widerwärtig«, dass die Künstler »für ihre Zwecke nach eigenen Angaben 200 Friedhöfe – denn was anders sind denn schließlich die Aschegruben des Holocaust – geschändet haben. Mir ist ja Mahnen vor Rechts wirklich ein Anliegen, aber dafür sollte man nicht an den Tatorten des Holocaust buddeln.«
Volker Beck stellt Strafanzeige gegen das Zentrum für Politische Schönheit.
Der Grünen-Politiker Volker Beck stellte Strafanzeige gegen das Zentrum für Politische Schönheit. »Falls es sich tatsächlich um die Asche von in der Schoa Ermordeten handeln sollten, wäre dies eine strafbare Verletzung der Totenruhe. (§ 168 StGB). Dies behaupten die Aktivisten vom Zentrum für Politische Schönheit (ZPS). Es könnte freilich auch Fake & Teil der geschmack- und respektlosen Kunstaktion sein. Dies kann nur durch Ermittlungen geprüft werden. Ich habe beim Staatsschutz Strafanzeige erstattet.«
Die Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, nannte die Aktion nicht nur »geschmacklos, taktlos und pietätlos«, sondern auch »politisch völlig kontraproduktiv. Wer unsere Demokratie gegen ihre Gegner verteidigen will, von dem kann erwartet werden, dass er ihren ersten und wichtigsten Grundsatz berücksichtigt: Die Würde des Menschen ist unantastbar«, erklärte Knobloch.
YAD VASHEM Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem erklärte: »Wir glauben, dass eine respektvolle künstlerische Darstellung des Themas legitim sein kann, so lange sie in keiner Weise das Andenken an den Holocaust beleidigt, herabsetzt oder entweiht. Yad Vashem bittet deshalb Künstler dringend, verantwortungsbewusst zu handeln und die Erinnerung an die Opfer des Holocaust sowie an die Überlebenden zu respektieren, die die Gräuel dieser Ära ertragen haben.«
Die Jewish Claims Conference erklärte: »Auschwitz-Überlebende sind bestürzt darüber, dass mit diesem Mahnmal ihre Empfindungen und die ewige Totenruhe ihrer ermordeten Angehörigen verletzt werden. Die Vorstellung, dass die Asche ihrer ermordeten Familienmitglieder zu Demonstrationen durch Europa transportiert wird, ist für sie nur schwer erträglich. Auch wenn sie die politische Absicht der Initiatoren verstehen und respektieren, halten sie diese Art der Demonstration für pietätlos.«
Laut dem ZPS wurden für die Aktion mehr als 200 Bodenproben an 23 Orten in Deutschland, Polen und der Ukraine, an denen Nazis Massenmorde begingen, zusammengetragen. Laboruntersuchungen hätten in mehr als 70 Prozent Hinweise auf menschliche Überreste gegeben. ag/ppe