Wer sie kennt, muss sie lieben. Ihre tiefsinnige Leichtigkeit, ihre melancholische Ehrlichkeit, ihre feingesponnene Poesie. Das Problem dieser Grundwahrheit ist nur: Wer kennt Mascha Kaléko noch? Sie, die Leserinnen und Leser dieser Zeitung, sicher, aber Sie sind die Ausnahme.
Das Publikum in den frühen Dreißigern, später in den Siebzigern verehrte die Kaléko. Im rasenden Bestsellerstrudel eines ausufernden Büchermarktes jedoch wurde es stiller um die Berliner Lyrikerin aus Galizien, die nach New York emigrierte und 1975 in Zürich starb. Elke Heidenreich oder die Zeitschrift »Emma« erinnerten, ebenso der Schriftsteller Horst Krüger und andere Intellektuelle. Aber die Zeitläufte des Literaturgeschmacks änderten die Richtung. Leider.
SINGER-SONGWRITER Auch die Sängerin und Songwriterin Dota Kehr war erstaunt, als sie ein Konzertbesucher mit Gedichten der ihr unbekannten Verfasserin überraschte. Dota, eine junge Berlinerin, Ärztin, dann Straßensängerin und jetzt viel gelobte Singer- Songwriterin, hatte bislang ihre eigenen Texte vertont.
Bei Kaléko jedoch war sie so fasziniert von der präzisen Tiefe, von den Brüchen und der leisen Ironie der Gedichte, dass sie begann, Melodien zu setzen. Dann bat sie einige Granden der Szene um Miniaturen ihrer Kunst: Hannes Wader, Konstantin Wecker, Felix Meyer, Max Prosa, Alin Coen und Francesco Wilking.
14 Lieder, die Texte unverändert und ungekürzt, teils als kleine Duette gesetzt, hat sie für ihr Album Kaléko eingespielt, Episoden des Alltags, der Liebe, der Großstadt, der Tristesse, der Freundschaft, der Vergänglichkeit. Dota hat, um sich nicht beeinflussen zu lassen, vorher keine Kaléko-Vertonungen gehört, etwa von Claire Waldoff oder Hanne Wieder.
RHYTHMUS Dotas Kompositionen sind melodiös, rhythmisch eingängig, angesiedelt zwischen Softpop, Indiesong, Walzer und sanftem Rock. Hinreißende und bekannte Gedichte sind dabei, »Die Anderen sind das weite Meer. Du aber bist der Hafen«, aber auch jene Elegie um die traurige Gewöhnung der Liebe »Für Chemjo zu Pessach« mit der wahrhaftigen Zeile »Wir haben das Schweben verlernt …«.
Den Ton der Kaléko beschrieb Thomas Mann mit »aufgeräumter Melancholie«, Hermann Hesse verehrte Kalékos »Sentimentalität und Schnoddrigkeit«. So gut Dotas heller, leichter Sopran zu den unverwechselbaren Stimmen von Hannes Wader oder Konstantin Wecker passt: Die aufgeräumte Melancholie, die Schnoddrigkeit von Kalékos Lyrik trifft das Album zu selten. Die Brüchigkeit fehlt, für die leicht angejahrte Rezensentin klingt alles zu heil, zu mainstreamig, zu freundlich, zu erwartbar, zu möglich, zu glatt, zu sanft.
Das Gute jedoch: Dotas Album verkauft sich, die Kritik liebt es, es wird tausendfach bei Spotify heruntergeladen. So ist Kaléko, die sich selbst als ganz unmodern bezeichnete, wieder angesagt, up to date und vielleicht nicht nur gehört, sondern auch wieder gelesen. Kaléko is back. Das zählt.
Dota: »Kaléko«. Kleingeldprinzessin Records (Broken Silence)