Meinung

Sie tanzen weiter

Der Autor und Journalist Nicholas Potter Foto: Olga Blackbird

Meinung

Sie tanzen weiter

Seit dem 7. Oktober hat die globale elektronische Musikszene versagt – aber die Überlebenden des Nova-Festivals geben nicht auf

von Nicholas Potter  07.10.2024 14:21 Uhr

»We will dance again«, so lautet der Slogan der Nova-Überlebenden. »Wir werden wieder tanzen.« In Gesprächen erzählen mir viele, dass es nach dem Festival-Massaker vom 7. Oktober wichtig war, wieder zu tanzen, zu feiern, zu raven. Einerseits, um einer posttraumatischen Belastungsstörung vorzubeugen, damit man wieder lernt, auf Partys zu sein, ohne in Panik und Angstzustände zu verfallen. Andererseits, damit die Terroristen nicht gewinnen, die alles bekämpfen wollen, wofür das Nova steht – Freiheit, Gleichheit, Liebe.

Doch seit dem Schwarzen Schabbat ist die Welt, in der sie noch feiern können oder wollen, plötzlich sehr klein geworden. A lonely planet. Vor der Nova-Ausstellung in New York im Juni skandierten Hunderte Menschen »Long live the intifada«. Eine Demonstrantin begründete die Aktion damit, dass das Nova-Festival »neben einem Konzentrationslager« stattgefunden habe.

Es war kein Einzelfall. In den zwölf Monaten seit dem 7. Oktober hat die globale elektronische Musikszene versagt. Sie hat immer wieder Menschen verteidigt, die Terror als »Widerstand« romantisieren oder die sexualisierte Gewalt der Hamas leugnen. Und sie hat die Werte verraten, für die sie einst stand – Emanzipation, die Überwindung von Identitäten, das euphorische Zusammenkommen, Frieden. Heute heißt es allzu oft: keine Zionisten auf der Tanzfläche. Oder: »Yallah Intifada«. Die Solidarität mit Juden und Israelis bleibt aus.

Ein barbarisches Blutbad gegen junge Menschen

Bis heute hat die Szene keine angemessene Sprache gefunden, um das zu beschreiben, was auf einem Acker neben dem Kibbuz Re’im passiert ist: Ein barbarisches Blutbad gegen junge Menschen, die nichts anderes wollten, als das Leben zu feiern. 364 von ihnen ermordeten palästinensische Killerkommandos – fast die Hälfte aller zivilen Opfer an diesem Tag. Viele weitere wurden vergewaltigt, verstümmelt oder verschleppt.

Wie soll man noch mit Menschen tanzen, die das nicht verurteilen wollen, die das sogar gutheißen? Seit dem 7. Oktober ist es sehr einsam geworden. Aber die Überlebenden des Nova-Festivals geben nicht auf. Sie tanzen weiter.

Der Autor ist Redakteur bei der »taz« und lebt in Berlin.

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  21.04.2025

Sehen!

»Die Passagierin«

Am Deutschen Nationaltheater in Weimar ist eine der intelligentesten Nachinszenierungen von Mieczyslaw Weinbergs Oper zu sehen

von Joachim Lange  21.04.2025

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025