Kino

Sie sprengten das System

Die Hauptdarstellerinnen Megan Twohey (l.) und Jodi Kantor Foto: JoJo Whilden/ Universal Pictures - Studios

Ihn bekommt man im wahrsten Sinne des Wortes nicht zu Gesicht. Denn die Person, um die sich eigentlich alles in She Said dreht, der Filmproduzent Harvey Weinstein, ist allein mit seiner Stimme präsent, und die ist voller Kälte und Hybris. Nur für einen ganz kurzen Augenblick ist er von hinten zu sehen, und zwar in den Redaktionsräumen der »New York Times«.

Und da ist der Skandal bereits voll im Gange und der Film fast schon zu Ende. Bis es aber so weit ist, werden die Zuschauer Zeugen, wie zwei junge Journalistinnen sich hartnäckig an die Fersen eines der mächtigsten Männer Hollywoods heften, der über Jahrzehnte hinweg Frauen sexuell missbraucht hat. Und genau ihnen geben die beiden Gesicht und Stimme.

gerüchte Aber der Reihe nach. Der von der britischen Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz (Ungehorsam, Colette) und der deutschen Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader (Liebesleben, Unorthodox) produzierte Film erzählt die Geschichte der beiden »New York Times«-Investigativjournalistinnen Megan Twohey (Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan – eine Enkelin der Regie-Legende Elia Kazan), die 2017 ersten Gerüchten auf die Spur gehen, in denen es um sexuelle Übergriffe des Film-Moguls Harvey Weinstein geht. Bald schon stellen die beiden fest, dass es sich keineswegs nur um Einzelfälle handelt.


Die Opfer wurden im wahrsten Sinne des Wortes »ihrer Stimme« beraubt.

Das Ganze geschah offensichtlich mit System. Damit keine der Frauen an die Öffentlichkeit ging, hatten die Anwälte von Weinsteins Produktionsfirma Miramax manche der Opfer massiv unter Druck gesetzt und sie gezwungen, Vereinbarungen zu unterzeichnen, die sie zum Stillschweigen verpflichteten.

Anderenfalls würde man die Frauen vor Gericht zerren. Sollten sie dennoch irgendwie den Mund aufmachen, würden sie in der Unterhaltungsindustrie sofort zur Persona non grata werden, sprich, ihre Karriere wäre erledigt. »Harvey kann das mit einem Anruf erreichen«, lautete die stets wiederholte Drohung.

klassiker Mit dem Film She Said bewegen sich Lenkiewicz und Schrader in der Tradition von Klassikern wie Die Unbestechlichen, jenem Film über die »Washington Post«-Journalisten Carl Bernstein und Bob Woodward, die den Watergate-Skandal öffentlich gemacht hatten und damit US-Präsident Richard Nixon zu Fall brachten. Das ist ambitioniert, und die Fallhöhe könnte groß sein.

Doch dem britisch-deutschen Team gelingt es, dem Thema gerecht zu werden, was nicht zuletzt an den schauspielerischen Leistungen der Hauptdarstellerinnen liegt – wobei ihre Charaktere gelegentlich etwas grenzwertig angelegt sind. Manchmal wirkt Megan Twohey wie ein spätes Hipster-Girl, und Jodi Kantor zeigt »Jewish Princess«-Allüren. Auch das hektische Treiben in den Redaktionsräumen der »New York Times« ist eine Spur zu klischeebelastet.

Was aber wirklich funktioniert, ist die Beschreibung der Situation der Frauen, die von Weinstein missbraucht wurden, den psychischen Belastungen, denen sie dadurch ausgesetzt waren, und wie sie im wahrsten Sinne des Wortes »ihrer Stimme« – so bringt es eines der Opfer auf den Punkt – beraubt wurden. Bereits in der Eingangssequenz von She Said offenbart sich das in all seiner Dramatik.

So steigt der Film mit einer Szene an der irischen Küste im Jahr 1992 ein. Eine junge Frau trifft beim Spazierengehen mit ihrem Hund auf den Set eines Historienfilms, den Miramax dort gerade dreht. Sie wird Teil der Crew, ist voller Freude und Enthusiasmus mit dabei. Doch schon in der nächsten Sequenz sieht man, wie sie verzweifelt und völlig traumatisiert eine Straße entlangrennt.

Dem britisch-deutschen Team gelingt es, dem Thema gerecht zu werden, was nicht zuletzt an den schauspielerischen Leistungen der Hauptdarstellerinnen liegt.

In ihren Gesprächen mit ehemaligen Miramax-Mitarbeiterinnen werden die beiden Journalistinnen – und damit auch die Zuschauer – immer wieder mit erschreckenden Details der Übergriffe des Filmproduzenten konfrontiert. Die Opfer berichten von erzwungenen Massagen, die laut Weinstein »Teil des Jobs« seien, Aufforderungen, mit ihm in den Whirlpool zu steigen, seinem Drang, vor ihren Augen zu masturbieren, sowie handfesten Vergewaltigungen. Eine der Frauen versucht, sich daraufhin sogar das Leben zu nehmen, so groß sind Scham und
Demütigung.

glaubwürdigkeit Eine Schauspielerin, und zwar Ashley Judd, die selbst von Weinstein belästigt wurde und als Nebenklägerin in dem späteren Prozess gegen ihn aussagte, spielt sich selbst, was die Dramatik und Glaubwürdigkeit des Films steigert.

Der lange Schatten Weinsteins reicht so weit, dass Opfer und Mitwisser zwar mit Megan Twohey und Jodi Kantor sprechen, sich aber nicht aus der Deckung trauen und auf Anonymität pochen. Doch die Story gewinnt nur dann an Glaubwürdigkeit, wenn auch Namen präsentiert werden können, also Frauen den Mut aufbringen, gegen Weinstein auszusagen.

Doch bis dahin dauert es, was Teil des Spannungsbogens im Film ist. Erst nachdem die Journalistinnen John Schmidt, den ehemaligen Finanzvorstand von Miramax, dazu gebracht haben, konkret über finanzielle Abfindungen an Opfer zu sprechen, bricht der Damm. Mit der Veröffentlichung der Geschichte im Oktober 2017 beginnt der Anfang vom Ende des Systems Weinstein, bald steht er vor Gericht. Und der Fall wird zum Auslöser der #MeToo-Bewegung.

Der Film »She Said« läuft ab 8. Dezember in den deutschen Kinos.

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