Theater

Sie schreibt, also ist sie

Wenn Elfriede Jelinek ihre Leser und Zuschauer mit einem neuen Abschnitt des immer währenden Endlostextes beglückt, mit dem sie sich durch die Gegenwart frisst und dabei instinktsicher auf die Vergangenheit zu sprechen kommt, dann sind darin stets auch Fragen an sie selbst enthalten. Mehr oder weniger klare, aber doch entschlüsselbare Angaben zur Person.

Wenn es bei der Nobelpreisträgerin (wie vor zehn Jahren tatsächlich) eine Hausdurchsuchung durch deutsche Steuerbehörden gibt, so hallen flugs auch diverse Beamten-Fragen im jüngsten Nobelpreisträgerinnen-Text wider. Dem jüngsten Stück liefert das die Überschrift: Angabe der Person.

WORTKASKADEN Wenn die Autorin etwas aus der Hand gibt, dann wird aus dem Stück Text ein Stück fürs Theater. Das springt bei den rollenlosen Wortkaskaden nicht sofort ins Auge, hat sich aber so eingebürgert. Jossi Wieler gehört zu den wenigen Uraufführungsregisseuren, der der Autorin über den Weg und den Texten Bühnenwirksamkeit zutraut.

Wenn der Staat im Ornat der Finanzbehörden an das lyrische Autorinnen-Ich herantritt und nicht ihre Worte, aber doch die Einnahmen aus ihnen danach durchforstet, was er davon haben, also als Steuer nehmen könnte, dann nimmt diese Autorin diesen Staat gleichsam ernst. Samt der Vorfahren. Der eigenen und der des Staates. Wenn es wie hier beim deutschen Staat ist, dann wird es todernst.

Denn ihre Vorfahren und die des deutschen Staates haben eine Rechnung offen. Eine auf Leben und Tod sogar. Für sie sind die Staats-Vorfahren jene, die einem Großteil ihrer jüdischen Familie das Leben genommen haben. Das Recht, bei jeder Gelegenheit zwischen einer doppelten Bedeutung und zwischen den Zeiten hin- und herzupendeln, nimmt sich die Autorin. Warum auch nicht.

Gerade eben ist die Angabe der Person zwischen zwei Buchdecken erschienen. Jossi Wieler hält sich an diesem Abend an den Text und kürzt ihn geschickt. Hier gilt: Wer vorher liest, hat mehr davon, weil er so einem neuen, irgendwie sympathisch grantelnden Bekannten wieder begegnet.

SCHAUSPIELERINNEN So, wie Linn Reusse, Fritzi Haberlandt und Susanne Wolff nacheinander - und mit gelegentlichen Zwischenrufen aus dem Hintergrund von Bernd Moss gewürzt - das untereinander aufteilen und als jeweils eigenes Solo leuchten lassen, hat der Text gleichwohl eine verblüffende Leichtigkeit, auch einen sprachpointierten Witz, über den man zwar nicht laut lachen, aber doch genüsslich schmunzeln kann.

Alle drei laufen zu ihrer eigenen komödiantischen Hochform auf. Und es schmälert den Beitrag der anderen nicht, wenn man dem Auftritt von Haberlandt mit besonderem Vergnügen folgt.

Zu all dem braucht es kaum Ausstattungsbeiwerk. Es gibt auch kaum welches. Bei Ausstatterin Anja Rabes genügen drei ähnliche, von ferne auf die Autorin verweisende Kostüme und ein angedeuteter Raumrest auf der Drehbühne. Mit einer Toilette, die nicht an die Raststätte von einst verweist, sondern an den von der Steuerfahndung gemessenen Wasserverbrauch im Hause Boris Becker, um dem berühmten Steuerflüchtling, Aufenthaltsort und Zahlungsverpflichtung nachzuweisen.

Wäre der Abend eine Oper, würde man das semiszenisch nennen. Gilt aber auch für diese Wortoper. Handgemachtes Theater, das dem Wort vertraut und dem Zuschauer etwas zutraut. Gibt es auch nicht mehr oft. Aber (nicht nur) als Uraufführungsinszenierung ein Dienst an der Sache! Und mit diesen drei Damen vom Wortgrill eine Delikatesse!

NAZI-GRÖSSEN Konkret wird es im Falle der Nazi-Größen Arthur Seyß-Inquart und Baldur von Schirach. Die verwechselt die Autorin zunächst beim Zumessen von Schuld am Schicksal ihrer jüdischen Verwandten, korrigiert das aber nicht, sondern macht es zu einem Solo über das Verwechseln von Personen beim Verfertigen von Texten; webt es wie ein Leitmotiv darin ein.

Bei der Causa von Schirach verweilt sie. Hat doch die Witwe des Reichsjugend(ver)führers und damit deren Erben ihr schmuckes Häuschen am schmucken See zurückkaufen können. Für fast nichts. Während seine Opfer mit Gedenktagen zufrieden sein müssen. Dass es Jelinek seltsam findet, wenn der erfolgreich schriftstellernde Anwalts-Nachfahre in selbst verfassten Stücken in Theatern über Leben und Tod abstimmen lässt, erscheint da plötzlich plausibel.

Besonderes Vergnügen machen die selbstironischen Kommentare zum Entstehen der Texte, mit denen die Autorin ihr Schreiben beobachtet, indem sie schreibt.

Nächste Vorstellungen im Deutschen Theater in Berlin am 2. und 25. Januar 2023 

Elfriede Jelinek: »Angabe der Person«, Rowohlt, Berlin 2022, 192 S. , 24 €

Wolfenbüttel

Buch von jüdischem Sammler an Erben übergeben

Vom Raubgut zur Schenkung: Ein Buch aus der Sammlung des Juden Benny Mielziner wurde an dessen Erben zurückgegeben. Und bleibt nun trotzdem öffentlich in der Herzog-August-Bibliothek

von Raphael Schlimbach  02.04.2025

Osnabrück

Neue Bilder werfen neues Licht auf jüdischen Maler Felix Nussbaum

Das Nussbaum-Haus erhielt die Bilder von Maryvonne Collot, einer Nachfahrin der mit Nussbaum befreundeten Familie Giboux-Collot aus Brüssel

 02.04.2025

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 01.04.2025

Berlin

Hans Rosenthal entdeckte Show-Ideen in Fabriken

Zum 100. Geburtstag des jüdischen Entertainers erzählen seine Kinder über die Pläne, die er vor seinem Tod noch hatte. Ein »Dalli Dalli«-Nachfolger lag schon in der Schublade

von Christof Bock  01.04.2025

Künstliches Comeback

Deutschlandfunk lässt Hans Rosenthal wiederaufleben

Der Moderator ist bereits 1987 verstorben, doch nun soll seine Stimme wieder im Radio erklingen – dank KI

 01.04.2025

Interview

Günther Jauch: »Hans Rosenthal war ein Idol meiner Kindheit«

Der TV-Moderator über den legendären jüdischen Showmaster und seinen eigenen Auftritt bei »Dalli Dalli« vor 42 Jahren

von Michael Thaidigsmann  01.04.2025

Jubiläum

Immer auf dem Sprung

Der Mann flitzte förmlich zu schmissigen Big-Band-Klängen auf die Bühne. »Tempo ist unsere Devise«, so Hans Rosenthal bei der Premiere von »Dalli Dalli«. Das TV-Ratespiel bleibt nicht sein einziges Vermächtnis

von Joachim Heinz  01.04.2025

TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

»Zwei Leben in Deutschland«, so der Titel seiner Autobiografie, hat Hans Rosenthal gelebt: Als von den Nazis verfolgter Jude und später als erfolgreicher Showmaster. Ein Spielfilm spürt diesem Zwiespalt nun gekonnt nach

von Katharina Zeckau  01.04.2025

Geschichte

»Der ist auch a Jid«

Vor 54 Jahren lief Hans Rosenthals »Dalli Dalli« zum ersten Mal im Fernsehen. Unser Autor erinnert sich daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war

von Lorenz S. Beckhardt  01.04.2025 Aktualisiert