Frau Salomonowitz, Ihr Film »Mit einem Tiger schlafen« hatte auf der Berlinale Weltpremiere. Es ist ein Film über die österreichische Malerin Maria Lassnig. Was hat Sie an der Künstlerin interessiert?
Es fing mit ihren Farben an. Das Grelle, die Ausdruckskraft, das Rosa, das Türkis, das Gelb. Ich bin tatsächlich manchmal ihren Bildern nachgefahren, um die Ausstellungen zu sehen, weil ich die Farben so mag. Eigentlich habe ich schon 2013 begonnen, an einem Film zu arbeiten, in dem ich das althergebrachte Künstlerporträt zerpflücken wollte. Es gibt ja diese bestimmte Art Film in Ausstellungen, der immer nach dem gleichen Muster gemacht wird: ein Künstlerporträt – ich benutze bewusst die männliche Form, weil diese Porträts meistens über Männer sind –, das dann 64-jährige Künstlerfürsten zeigt, Interviews mit Galeristen et cetera. Und das wollte ich in meinem Film zerlegen. Aus dieser Idee aber ist eine völlig andere, ein ganz anderer Film geworden. Dieser Film ist ein Geschenk. Er ist viel zärtlicher als meine ursprüngliche Idee. Maria Lassnig ist mir aber nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ich habe begonnen zu recherchieren, habe mir ihr Leben angeschaut, habe wahnsinnig viele Menschen interviewt. Das Drehbuch hat ganz viele Formen durchgemacht, aber die Idee, dass es von einer Person gespielt wird, war von Anfang an da.
Die österreichische Schauspielerin Birgit Minichmayr spielt Maria Lassnig. War Ihnen gleich klar, dass sie es sein wird?
Ich habe Birgit Minichmayr in der Albertina in Wien gehört, als sie Tagebuchtexte von Maria Lassnig gelesen hat. Und in dem Moment, als ich sie da gesehen und gehört habe, habe ich gedacht: Sie ist es. Das war dann irgendwie gar keine Frage mehr.
Und wie war die Antwort von Birgit Minichmayr?
Sie hat sofort zugesagt. Es hat sie sehr gereizt, dass sie alle Altersphasen spielt, und sie hat sofort die Konnotation, das Poetische daran verstanden.
Der Film ist sehr minimalistisch und arbeitet intensiv mit Farben. War das Ihr Ansatz?
Die Idee war von Anfang an, dass der Film in ein Weiß gehüllt ist. Das kann schmuddeliges Weiß sein, wie Lassnigs eigene Ateliers waren, oder so ein Hochglanz-Weiß, wie es in Galerien üblich ist. Die Farben finden sich auch in der Ausstattung und den Kostümen wieder. In der New Yorker Phase, da hat Lassnig ja sehr viel Türkis gemalt, da haben wir dann die Ausstattung und das Kostüm türkis gemacht, die Unterwäsche zum Beispiel.
Hat Maria Lassnig wirklich in solcher Unterwäsche gemalt?
Das Kostüm entspricht ihrem Kleiderstil, das ist einfach nachgemacht. Die geniale Kostümdesignerin Tanja Hausner hat das nachgebildet. Der Pelzmantel, diese Pullis, die Krawatte, das ist alles echt gewesen. So hat sie ausgesehen. Sie hat irrsinnig witzige Kleider angehabt. Oder ihre Pullover, auf denen lauter Bienen zu sehen sind. In New York war es Türkis, und da haben wir dann eben die Ausstattung und das Kostüm wieder türkis gemacht. Das Türkis, erzählte mir ihr Assistent Hans Werner Poschauko, sei die Farbe des Wörthersees, nach dem Maria Lassnig Sehnsucht hatte.
Maria Lassnig hat auch viel mit Rosa gemalt. Wofür stand das?
Sie hat ganz generell den Farben Gefühle zugeteilt. Es gibt Verwesungsfarben, Eifersuchtsfarben, Todesfarben. Wenn ihre Wangen heiß waren, hat sie sie rot gemalt, weil ihr gerade heiß war.
Der Film zeigt eine Frau, die morgens aufsteht, sich auf einen Stuhl setzt und malt – egal, was kommt.
Es war dieses unbedingte Kunstwollen. Sie ist jeden Tag ins Atelier gegangen, hat sich hingesetzt, und dann kam sie in diesen Bewusstseinsstrom, in dem es keine Zeiten und keine Orte gibt und einen Punkt, an dem meiner Meinung nach die Kreativität sitzt. Dieses unbedingte Kunstwollen, das hat mich wahnsinnig fasziniert. Also dieser Moment, in dem sie sich da befindet, in dem sie in ihr eigenes Unterbewusstes hineingeht, in dem sie nichts spürt. Es gibt viele Bilder, auf denen sie zum Beispiel keine Haare hat und über die sie sagte: Sie hat die Haare nicht gespürt. Es ist, als wenn man im Sessel sitzt, die Sitzbeinhöcker graben sich leicht in den Sessel hinein, und die Frage ist: Sinkt die Haut in den Sessel oder geht der Stoff vom Sessel nach oben? Dann geht es weiter: Wie könnte man dieses Gefühl in eine Farbe übersetzen? Sie hat die Welt nicht nur mit ihren Augen gesehen, sondern mit ihrem Körper gespürt.
Welche Szene ist Ihnen besonders nahe gegangen?
Ich liebe den Moment, in dem sie selbst als alte Frau neben ihrer Großmutter sitzt, während die Großmutter das Kreuz auf den Zettel als Unterschrift malt. Und dann später sitzt die Großmutter ja bei der gealterten Maria am Bett. Ein Moment, in dem sich alle Zeiten vermischen. So wie Erinnerungen und Gefühle auch in keiner Zeit verankert sind, ist auch der Film nicht linear erzählt. Alles kann gleichzeitig passieren.
Wie haben Sie den Dreh erlebt?
Mit viel Konzentration. Für mich war dieser Dreh, dieser Film eine Art Korsett, um im Leben zu bleiben, weil ich in Trauer war und bin, und Birgit war eine tolle Partnerin an meiner Seite. Das Korsett hat mir Halt gegeben, und ich finde, das merkt man dem Film auch an, dass er sich in dieser Sphäre zwischen Leben und Tod befindet. Ich würde Maria Lassnig sogar unterstellen, dass es ihr selbst um eine Art Unsterblichkeit gegangen ist mit ihren Bildern, also dass man sich vielleicht unsterblich fühlt, indem man seine Gefühle gemalt hinterlässt. Und dadurch, dass Birgit Maria in allen Altersphasen spielt, bekommt sie ein klein bisschen Ewigkeit.
Mit der Regisseurin sprach Katrin Richter.