Ausstellung

Shylock, Rothschild & Co

Feindbild mit krummer Nase: antikapitalistisches Graffito am Bauzaun der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main Foto: Ausstellung

Jews without Money – »Juden ohne Geld« lautete der provokante Titel eines Romans, den Michael Gold, Krawall-Essayist und Kulturchef der Kommunistischen Partei der USA, 1930 über das Elend der jüdischen Einwanderer in der New Yorker Lower East Side schrieb. Dass die naturgemäße Formel konträr dazu, nämlich »Juden mit Geld«, zu lauten habe, gehört zur Grundausstattung des gefährlich gesunden Volksempfindens.

Der Geschichte des wohl immer noch wirkmächtigsten antisemitischen Klischees vom reichen Juden versucht nun eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt auf die Spur zu kommen. Eine heikle Unternehmung, was den Kuratoren durchaus bewusst ist: Wird ein Vorurteil, zumal ein so mörderisches, in der Vitrine ausgestellt, nicht zwangsläufig konserviert? Ist es tragbar, dass nun in der ganzen Stadt die Kombination der Worte »Juden« und »Geld« auf Werbeplakaten zu sehen ist?

konfrontation Die Ausstellungsmacher haben sich trotz aller Bedenken für die Konfrontation mit dem Stereotyp entschieden. Das zeugt nicht nur von Mut, sondern außerdem von einem tatkräftigen Gegenwartssinn. Waren hierzulande bislang viele Ausstellungen zu jüdischen Themen von der eher verkniffenen pädagogischen Programmatik beseelt, den Deutschen wenigstens im Nachhinein beweisen zu wollen, warum es sich gelohnt hätte, die Juden besser am Leben zu lassen, verstehen sie sich jetzt mehr und mehr als Debattenbeförderer – ihr Effekt ist zwangsläufig ungewiss, mit Sicherheit spannender ist es allemal.

Vielleicht ist es nicht ganz zufällig, dass diese gewagten Projekte oftmals von nicht-deutschen Kuratoren erdacht wurden. So auch im Fall der Frankfurter Ausstellung. Das Konzept der Amerikanerin Liliane Weissberg fand mit dem Jüdischen Museum die perfekte Umgebung vor. Hier, im ehemaligen Palais der Familie Rothschild, lassen sich Form und Inhalt eindrucksvoll ineinander verschränken.

historie Gezeigt wird, ausgehend vom Mittelalter, wie die Juden in Deutschland und Österreich durch den Ausschluss aus den Zünften in die Sphäre des Geldhandels gedrängt wurden und ihnen von da an das Stigma des Wucherers anhaftete. Auch wenn sie später als Hoffaktoren wie Joseph Süß Oppenheimer Privilegien genossen – ihre Lage blieb angesichts des sich an ihnen immer wieder entladenden Volkszorns prekär.

Mit der ökonomischen Entwicklung wandelte sich auch das Engagement der Juden in der Finanzsphäre – und das dazugehörige Ressentiment: Das Bild vom »jüdischen Geldwechsler« wurde von dem des »jüdischen Bankiers« abgelöst, hinzu trat um die Jahrhundertwende der jüdische Warenhauskönig.

Hier liegt die Herausforderung einer Ausstellung, die sich vornimmt, eine Vorstellung auszuleuchten: In jeder Projektion lässt sich irgendwo ein realitätsgemäßer Ausgangspunkt ausmachen. Die geschichtlichen Stationen der im Mittelalter geprägten Zwangssymbiose von Juden und Geld lassen sich anhand von Biografien, Statistiken und Exponaten dokumentieren. Doch wann verselbständigen sich diese Momente zur bedeutungsschwangeren Unterstellung?

verschwörungstheorien An der Familie Rothschild kristallisierte sich die Verbindung von Reichtum und Judentum zum kulturgeschichtlichen Mythos, dessen Präsentation sich das Museum mit seinen prädestinierten Räumlichkeiten natürlich nicht entgehen lässt. Die zweitbekannteste reiche Familie, die Rockefellers, spart die Ausstellung aus. Weil sie nicht jüdisch ist. Vielleicht ist mit dieser Auslassung etwas verschenkt, denn nicht nur diverse Internetseiten, die die angeblichen jüdischen Wurzeln der Familie zu enthüllen trachten, illustrieren, dass das Phantasma vom reichen Juden auf ein Bedürfnis antwortet, das sich vom realen Juden weitestgehend emanzipiert hat.

Zum Beispiel das Bedürfnis, trotz verallgemeinertem Zwang zur kühlen Kosten-Nutzen-Rationalität den Status des »ehrbaren Kaufmanns« für sich zu reklamieren und den Spekulanten als gemeinschaftsfeindlichen Wirtschaftstypus in den Be-reich der »jüdischen Hochfinanz« zu delegieren.

Unzählige gezeigte Karikaturen und Pamphlete aus der antisemitischen Publizistik seit Mitte des 19. Jahrhunderts künden davon, wie irre viele Menschen an der Undurchschaubarkeit und Unkontrollierbarkeit des sich durchsetzenden Kapitalismus wurden. Die Ausstellung macht dies besonders an den als irrational empfundenen Wirtschaftskrisen und der Einführung des rätselhaften, weil abstrakten Papiergeldes fest, deren Dämonie dann an den Juden kleben blieb.

globalisierung Zu wenig Erwähnung findet der Kosmopolitismus der globalisierten Geldströme, die sich, folgt man dem Historiker Yuri Slezkine, von allen trüben antisemitischen Klischees wohl noch am ehesten mit real existierenden Charakteristika jüdischen Lebens in Einklang bringen ließen, legte man es denn darauf an. Doch das wäre letzten Endes müßig, denn wie die noch so kruden Vorstellungswelten der Antisemiten dann in das praktische Mordprogramm der Nazis umschlagen konnten, bleibt auch nach dem Abschreiten der letzten umfassenden Ausstellungsstation, dem Nationalsozialismus, im Grund unfassbar rätselhaft.

Enttäuschend, dass die Zeit nach 1945 bis auf zwei Schlaglichter ausgespart bleibt. Erst recht, wenn die Wirtschaftskrise der letzten Jahre und die erwartbaren antisemitischen Reaktionen darauf die Motivation für das Ausstellungsprojekt geliefert haben, wie die Macher erklären. In Ungarn und Griechenland halten judenfeindliche politische Bewegungen die Gesellschaft in Atem.

Und hierzulande? Eine vergleichbare politische Kraft ist kaum auszumachen. In den Deutungsversuchen zur Krise war zwar oft von Spekulanten, Zockern, manchmal auch von Heuschrecken zu lesen, das Wort »Jude« fiel aber nicht. Erleben wir also gerade die erste Wirtschaftskrise ohne wachsenden Antisemitismus? Oder einen Antisemitismus ohne Juden? Hier hat sich die Ausstellung leider etwas um die Brisanz der eigenen Fragestellung betrogen.

tradition Vermissen kann man auch die individuelle jüdische Perspektive auf die Vorstellungswelt »Reichtum und Geld«. Wenn Moses Mendelssohn seinerzeit den Satz prägte, einem Juden stünde es nur frei, »Arzt, Kaufmann oder Bettler zu werden«, so steht der Beruf des Kaufmanns auch heute, nach der Emanzipation, weiterhin hoch im Kurs.

Warum nicht in Interviews erfragen, welche Erzählungen, Hoffnungen und Aufopferungen in jüdischen Familien mit dieser jüdischen Tradition bis heute verbunden sind? Der Gefahr, dass damit wiederum Strereotypen vom reichen Juden in die Hände gespielt würde, ließe sich übrigens leicht entgegenwirken: Man bringe einfach am Ausgang der Ausstellung die Finanzpläne mancher am Rande der Zwangsverwaltung segelnden klammen jüdischen Gemeinden an. Mit einem Blick auf den Saldo wäre der Eindruck gewonnen, für den Michael Gold ein ganzes Buch schreiben musste: »Juden ohne Geld«.

»Juden. Geld. Eine Vorstellung«. Jüdisches Museum Frankfurt, bis 6. Oktober. Der gleichnamige Katalog ist im Campus Verlag erschienen (436 S., 19,90 €).

www.juedischesmuseum.de

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