Es gibt eine Ecke im Internet, die für mich den Begriff der »Wholesomeness«, der »Heilsamkeit«, perfekt beschreibt. Wenn die Nachrichtenlage mich abstumpft und ich lange Storys produziere, gehe ich im Anschluss an meinen »Happy Place« auf Instagram.
Personen wie ich, die auf über acht Stunden Bildschirmzeit pro Tag kommen, brauchen diesen Ort. Er kann ganz unterschiedlich aussehen. Nach dem 7. Oktober schickte mir eine Freundin täglich ein süßes Tiervideo: hüpfende Lamas, kauende Äffchen, rappende Ziegen.
Flechtmuster von Challah Prince oder Matzo Ball Soup von Alison Roman
Ein ganz besonderer Ort im Netz ist für mich aber Jewish Food Content. In den vergangenen Jahren erfreuten sich die Videos mit Flechtmustern von Challah Prince oder die Matzo Ball Soup von Alison Roman weit über die jüdische Online-Community hinaus immer größerer Beliebtheit. Viele Creators haben mittlerweile Hunderttausende Follower weltweit, die wissen, was Babka ist und wie man Chraime zubereitet. Das jüdische und israelische Food Game auf Instagram und TikTok hat den Mainstream erreicht.
Wenn Ben Siman Tov (YASSS!), Ruhama Shitrit oder Eitan Bernath mit ihren typischen Sätzen im einminütigen Zeitraffer ihre Küchengeräte in Gang werfen, Teig kneten oder Silan, Baharat, Zitrone und Knoblauch zum Fisch geben und das Essen in den Ofen schieben, dann rieche ich es, stelle mir den nächsten Abend vor, an dem ich genau diese Dinge auch koche, oder ich sitze wieder in den Küchen meiner Großmütter.
Die »Jewish Food Society« will ein Archiv erarbeiten, das die jüdische Küche der ganzen Welt samt Ursprungsgeschichten revitalisieren soll.
Das irakische T’beet, das marokkanische Couscous, das jemenitische Jahnun, der polnische Kigel, der österreichische Strudel und der ukrainische Borschtsch sind zu unserem Eigenen geworden. Es ist die Praxis, Erinnerung über Zeiten und Orte hinweg festzuhalten, in einer Familie zusammenzuführen und damit den Schmerz des Verlustes zu verarbeiten.
Die »Jewish Food Society« hat sich zum Ziel gesetzt, ein Archiv zu erarbeiten, das die jüdische Küche der ganzen Welt samt ihren Ursprungsgeschichten revitalisieren soll. Auf ihrer Website finden sich zahlreiche, über Generationen überlieferte Rezepte. Auch einige Instagram Creators wurden mit ihren viralen Speisen mittlerweile dort festgehalten.
Wenn ich sehe, mit wie viel Sinnlichkeit diese Creators, für die auch der legendäre Koch Yotam Ottolenghi den Grundstein legte, unsere Kultur zu einem multimedialen Erleben verarbeiten, dann spüre ich nicht nur einen kurzen Moment der Hoffnung, sondern ich erinnere mich auch daran, warum ich es liebe, diese jüdischen Herkunftsgeschichten trotz aller Schwere in mir zu tragen.
Die Weinblätter der Großmutter von Omer Shem-Tov
Sie erinnern die aufgeheizte Social-Media-Welt daran, dass hinter dem Reizwort »Israel« auch Menschen stecken, die einfach gutes Essen lieben. Nach der Katastrophe des 7. Oktober begannen viele israelische Creators, die Geschichten der Geiseln über ihr Lieblingsessen zu erzählen.
Ein Kreis schloss sich, als die Großmutter der freigelassenen Geisel Omer Shem-Tov nur Minuten nach der perversen Übergabezeremonie, bei der ihr Enkel zwischen den Terroristen widerständig in die Kamera jubelte, verkündete, sie habe Omer bereits seine geliebten Weinblätter zubereitet. Und auch, wenn man ihm zunächst nicht erlauben würde zu essen: Sie werde ihm die Lieblingsspeise einfach in den Mund stecken.
Sie wusste genau, was er jetzt brauchte: den Geschmack von Zuhause. Ein Zuhause, das da ist, wo wir riechen, schmecken und fühlen können – und somit wissen, dass wir am Leben sind. So bekommt der Satz, der wie kein anderer mit jüdischer Essenstradition verbunden ist, auch in unserer Generation eine neue Dimension: They tried to kill us, we survived, let’s eat!