Sehen!

»Shikun«

Die Schauspielerin Irène Jacob

In seinen Filmen hat sich der 1950 in Haifa geborene Filmemacher Amos Gitai stets mit Kriegen und Konflikten befasst, mit dem Erbe des Holocaust und den Traumata seines Heimatlandes. Doch eines ist ihm nie abhandengekommen: der Aufruf zum Dialog.

Das gilt auch für Shikun, seinen jüngsten Film, an dessen Ende programmatisch das Gedicht »Denke an die anderen!« des palästinensischen Dichters Mahmud Darwisch steht. In dem zwischen absurdem Theater und Experimentalfilm changierenden Werk verdichtet Gitai die israelische Gesellschaft sinnbildlich, und zwar in einem brutalistischen Sozialbau, auf Hebräisch »Shikun«, ohne jedoch zu vereinfachen. Inspiriert ist das Ganze von Eugène Ionescos Die Nashörner, einem Klassiker des Absurden Theaters, in dem sich Menschen, die opportun zu einem totalitären System agieren, in Nashörner verwandeln.

Ein Investor hat Immobilienkäufern einen Meerblick inmitten der Wüstenstadt versprochen

Gemeinsam mit einem experimentellen Soundteppich bildet die französisch-schweizerische Schauspielerin Irène Jacob das Bindeglied zwischen einem Reigen loser (Alltags-)Begegnungen und Episoden. Die Handlung: Ein Investor hat Immobilienkäufern das Versprechen eines Meerblicks inmitten der Wüstenstadt gemacht und streitet mit dem Architekten darüber, ob die Synagoge in den Keller oder aufs Dach soll. In einem Hebräischsprachkurs lernen Männer und Frauen aus Indien und Weißrussland, eine Familie aus der Ukraine bezieht eine Wohnung, und zwei Rabbis diskutieren über die Hochzeit mit einer »Schickse«.

Der Film beginnt auf einem langen Außenkorridor und gräbt sich tiefer ins Gebäude mit seinen leeren Ladenflächen und einem unterirdischen Busbahnhof – eine auch metaphorische Bewegung ins Innere, wo eine Israelin und ein Palästinenser sich küssen oder eine Frau ein Bilderbuch von Kindern aus Theresienstadt vorstellt. Am Dreh beteiligt waren Israelis, Palästinenser sowie Angehörige weiterer Nationalitäten. Gesprochen wird Hebräisch, Arabisch, Französisch, Jiddisch und Ukrainisch.

Inszeniert als Reaktion auf den Rechtsruck und den geplanten Umbau des Justizwesens der Regierung von Benjamin Netanjahu, erscheint der vor dem 7. Oktober 2023 gedrehte Film heute noch dringlicher. Der geschichtsträchtige Beton bebt zwischen gestern und heute, Ultraorthodoxen und Progressiven, Gentrifizierung und Raubtierkapitalismus. Was bringt die Zukunft?

Der Film läuft ab dem 9. Januar im Kino.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025