Man hätte, wie Doron Kiesel gleich zu Beginn bemerkte, diese Tagung auch »Juden und Geld« nennen können. Hierzulande verbinde man damit jedoch eher negative Assoziationen, beklagte der wissenschaftliche Direktor der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden in Deutschland.
So trug die von der Bildungsabteilung und der Fundraising Akademie vom 27. bis 29. Oktober in Frankfurt am Main ausgerichtete Konferenz zu Traditionen des Gebens, Schenkens und Stiftens in Religion und Gesellschaft den augenzwinkernd anmutenden Titel »Geld oder Leben?!«.
SÄULE Die Fachtagung handele keineswegs von Räubern oder Banditen, stellte Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann, aus Berlin zugeschaltet, in seinem Grußwort klar. Vielmehr gehe es etwa um die Frage, was Menschen zum Spenden veranlasst. Um zu veranschaulichen, dass etwa das deutsche Grundgesetz zum Spenden verpflichten könnte, zitierte Botmann den zweiten Absatz von Artikel 14: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.«
Die Wohltätigkeit zähle neben der Tora und dem Gebet zu den tragenden Säulen des Judentums, sagte der Zentralratsgeschäftsführer. Diesen Aspekt betonte auch Doron Kiesel: »Jüdisches Leben war schon immer von einer sozialethischen Agenda geprägt.« Es gelte, die Grundlagen »unserer eigenen sozial handelnden Existenz« zu reflektieren.
Johannes Schellakowsky von der Hessischen Staatskanzlei stellte in seinem Grußwort die seiner Ansicht nach richtige Wahl des Tagungsortes heraus. Er verwies auf die Blüte der jüdischen Philanthropie und des Mäzenatentums in Frankfurt im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, die unter anderem zur Gründung der Universität führte.
Die Tagung geht auf eine Studienreise nach Israel zurück.
Zur Entstehung der jüdischen Philanthropie und ihren Voraussetzungen referierte am zweiten Konferenztag die Historikerin und Bibliothekarin Rachel Heuberger, während die lokalhistorische Dimension dieses Themas im Mittelpunkt eines Gesprächs stand, an dem unter anderem Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, teilnahm.
Dass Frankfurt ohne jüdisches Mäzenatentum nicht denkbar sei, betonte zum Auftakt auch Thomas Kreuzer, Direktor der Fundraising Akademie. Die Tagung gehe auf eine Studienreise nach Israel zurück, die er mit einer Studierendengruppe, begleitet von Doron Kiesel, unternommen habe.
Die Reise habe, so Kiesel, für Verblüffung und Begeisterung unter den Studenten gesorgt, denn: »Es gibt kaum einen Staat, der sich so professionell mit Fragen und Konzepten der Fundraising-Philosophie auseinandergesetzt hat wie Israel.«
BLÜTE Auf die Blüte des jüdischen Stiftens vor dem Ersten Weltkrieg ging zu Beginn seines Vortrags auch Volker Then, geschäftsführender Direktor des Centrums für soziale Investitionen und Innovationen (CSI) der Universität Heidelberg, ein. Es sei vergleichbar mit dem, was man heute aus den USA kenne. Der weitere Verlauf des 20. Jahrhunderts habe der Kultur des Stiftens in Deutschland jedoch schweren Schaden zugefügt, so Then. Bis heute habe man mit den Folgen von Kriegen und Hyperinflationen zu tun.
Zedaka heißt, die Ungerechtigkeit der Welt auszugleichen.
Im weiteren Verlauf seines Vortrags lieferte Volker Then theoretische und empirische Betrachtungen zum Thema der Tagung. So stellte er das Konzept der sozialen Investitionen vor, bei denen das Gemeinwohl zwar im Mittelpunkt stehe, ökonomische und politische Aspekte aber nicht ausgeklammert würden.
Then berichtete von einer Gründungswelle von Sozialunternehmen. Und auch Wirtschaftsunternehmen würden zunehmend auf das Gemeinwohl schauen. Auf der politischen Seite von Sozialinvestitionen verortete er unter anderem die freien Wohlfahrtsverbände wie etwa die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).
LEITBILD Mit »Zedaka, Gemeinschaft und Gesellschaft« war der Vortrag von ZWST-Direktor Aron Schuster überschrieben. Er stellte Zedaka als Leitbild der 1917 gegründeten Zentralwohlfahrtsstelle vor. Zedaka bedeute im Hebräischen so viel wie Gerechtigkeit. »Es ist keine Tugend, sondern Pflicht, keine persönliche Auszeichnung, sondern obligatorisch, nicht Großzügigkeit, sondern Selbstverständlichkeit.«
Schuster zitierte in diesem Zusammenhang Rabbiner Jonathan Sacks: »Das Wort Zedaka spiegelt die Idee, nach der jeder Besitz letztlich G’tt gehört, weshalb auch eher der Sinn für Gleichheit als der für Großzügigkeit Spenden für andere fordert.«
»Armut ist im Judentum nichts Erstrebenswertes.«
Rabbiner Julian-Chaim Soussan
Schuster stellte, ebenso wie am Vorabend schon Rabbiner Julian-Chaim Soussan, Maimonides’ Konzept der acht Stufen der Zedaka vor. Dem Bedürftigen die Möglichkeit zu geben, sich selbstständig zu ernähren, ist danach die wertvollste Art der Gabe: Hilfe zur Selbsthilfe also. Soussan betonte ebenfalls, dass die Zedaka eine Selbstverständlichkeit sei: Man gleiche nur die Ungerechtigkeit der Welt aus.
idee Im Judentum gelte die Idee: »Wer regelmäßig spendet, wird reich.« Man solle ein Zehntel seines Verdienstes spenden, doch nicht mehr als 20 Prozent, um nicht zu verarmen. Denn Armut, so Soussan, sei im Judentum nichts Erstrebenswertes – »im Gegensatz zu anderen Religionen«. Großartig sei es hingegen, Mitmenschen dazu anzustiften, etwas Gutes zu tun: »Andere dazu bringen, eine Mizwa zu erfüllen, ist noch größer, als selbst die Mizwa zu tun!«
Das Judentum, führte der Frankfurter Gemeinderabbiner weiter aus, glaube zwar an die messianische Zeit, aber die Tora sage, man solle nicht darauf warten. »Jetzt und hier sind wir gefordert, richtig zu tun und zu handeln«, mahnte Soussan in seinem kurzweiligen, mit biblischen Bezügen und Geschichten angereicherten Vortrag.