Kann man sich als Jude in Deutschland und Österreich wirklich wohlfühlen und dort ankommen? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Films Back to the Fatherland, einer israelisch-österreichischen Koproduktion. Obwohl vor Drehbeginn ungeplant, wurden auch die beiden Regisseurinnen Gil Levanon und Katharina Rohrer im Laufe der Dreharbeiten ungewollt zu Protagonistinnen ihres eigenen Films.
Deren Biografien könnten gegensätzlicher nicht sein: Gil Levanon kommt aus Israel, ist Enkelin eines Schoa-Überlebenden; Katharina Rohrer stammt aus Österreich – und ist Enkelin eines Nazi-Offiziers. Trotz dieser biografischen Diskrepanz sind die beiden Frauen seit mehr als zehn Jahren befreundet. Kennengelernt haben sie sich beim Filmstudium in New York. In ihrem Bestreben, die Geschichte ihrer Familien zu überwinden, entstand die Idee zum Film.
Zukunft Die Filmemacherinnen begleiten ihre Protagonisten bei der Ausreise nach Deutschland und Österreich. Da ist auf der einen Seite Dan, dem Israel zu eng wird und der deshalb seine Sachen packt, um sich in Berlin eine Zukunft aufzubauen. Und dann ist da Guy, der nach Wien geht und dort zu seiner österreichischen Freundin sagt: »Sobald die Stimmung im Land kippen sollte, bin ich schneller wieder in Israel, als du es dir vorstellen kannst.«
Back to the Fatherland lebt von den Dialogen zwischen den Enkeln und ihren Großeltern – die die Entscheidungen ihrer Enkel anfangs alles andere als gutheißen. Der Großvater von Guy etwa spricht unablässig über seine Erlebnisse während der Schoa, wiederkehrende Sätze, die er immer und immer wieder sagt. Guy kennt sie schon auswendig – und hört dennoch stets so zu, als höre er sie zum ersten Mal.
Dans Großmutter Lea hingegen hat ihr ganzes Leben lang geschwiegen und sagt: »Ihr habt mich ja nie gefragt.« Doch während des Filmprojekts fängt sie dann doch an zu erzählen.
verrat Auch Gil Levanon rührt an alte Wunden. Als die israelische Regisseurin ihrem Großvater erklärt, sie wolle nach Deutschland auswandern – es ist die Eingangsszene des Films –, sagt er bestimmt: »Auf keinen Fall!«
»Es war, als würde ich ihn verraten, ihm wehtun«, sagte die Filmemacherin jüngst bei der Filmvorführung in der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum. Zu der Präsentation der Doku wurde sie aus Jerusalem zugeschaltet, wo der Film parallel im Literaturcafé »Tmol Shilshom« zu sehen war und das jeweilige Publikum anschließend per Live-Schalte mit den Regisseurinnen und weiteren Gästen ins Gespräch kommen konnte.
Neben Regisseurin Katharina Rohrer waren es im Repräsentantensaal der Neuen Synagoge Ehrengäste wie Felix Klein, seit Mai 2018 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Gerry Woop, Staatssekretär für Europa, und Liora Givon, Konsulin der Botschaft des Staates Israel, die in ihren Grußworten die Themen des Films ansprachen.
Wunder Dass sich die Nachkommen der Schoa-Überlebenden wieder für Deutschland interessierten, bewege ihn sehr, sagte Felix Klein. »Das ist ein Wunder und auch ein Geschenk.« In Deutschland, und insbesondere in Berlin, würden Juden wieder gern leben. Diese Menschen seien »Brückenbauer«, sagte Klein.
Etwa 20.000 Israelis würden aktuell in Berlin wohnen, so Gerry Woop. Einige blieben dort für längere Zeit, andere sähen in der Stadt lediglich einen Zwischenstopp. Es handle sich in Zeiten der Globalisierung um eine »mobile Generation«. Er beobachte das Heranwachsen einer »selbstbewussten Community, die die Stadt Berlin mitprägt«. »Jeder, der kommt, macht uns stolz«, sagte Staatssekretär Woop.
Liora Givon erinnerte an ihre eigene Familiengeschichte. Ihre Großeltern stammten aus Berlin. Während der NS-Zeit gelang ihnen die Flucht, erst in die Schweiz, dann nach Israel. »Viele haben in Israel eine Verbindung nach Deutschland, das ist eine besondere Situation«, sagte die Konsulin. Damit umzugehen, sei nicht einfach, »aber es bietet auch viele Möglichkeiten«.
Fragen Wie in Israel junge Juden mit dem Erbe ihrer Großeltern umgehen und welche Rolle die persönlichen Schoa-Traumata in der Familie spielen, sind nur zwei Fragen, die der Dokumentarfilm berührt. Hinzu kommt der Blick auf das Leben im deutschsprachigen Ausland und die Frage: Kann man sich dort als Jude wirklich wohlfühlen und ankommen?
Trotz der Diskussionen werden die Großeltern ihre Enkel schließlich ziehen lassen – und sogar besuchen. Gemeinsam gehen sie an Orte, die die Großeltern seit der Schoa gemieden haben, ob die einstige Grundschule oder das Wohnhaus. Es entstehen sehr emotionale Szenen, Momente, in denen sich die beiden Generationen vielleicht näherkommen als je zuvor.
Nach knapp 80 Minuten erklang bei der Filmvorführung im Centrum Judaicum Applaus. Das Publikum in Jerusalem ist sichtlich gerührt und voller Lob für die Regisseurinnen. Es entspann sich eine angeregte Diskussion über den Umgang Israels mit der Schoa und über das Leben als Jude in Deutschland. In einer Mischung aus Englisch, Deutsch und Hebräisch tauschte man sich an dem Abend noch lange aus.
Ab 8. November im Kino