Eine Kamera, die um die Ecke sehen oder mit der man das Innere eines menschlichen Körpers fotografieren kann? Das klingt für die meisten Menschen wohl eher nach einem Gadget aus einem James-Bond-Film. Die Physiker Ori Katz und Eran Small hielten eine solche Technik durchaus für machbar.
Gemeinsam mit Professor Yaron Silberberg vom Weizmann-Institut in Rehovot haben sie einen Weg gefunden, mit einer gewöhnlichen Kamera und einer simplen Glühbirne ebensolche bislang für unmöglich gehaltene Fotos möglich zu machen – ganz ohne Laser, Röntgenstrahlen, immensen Energiebedarf oder gar einen teuren Teilchenbeschleuniger. Noch ist es nicht perfekt, was die Kamera liefert, die Bilder sind verschwommen und relativ klein, aber es ist ein Anfang auf dem Weg zu einer Kamera, die sehen kann wie Superman.
Licht Um zu verstehen, wie das funktioniert, muss man sich einiges über das Licht und seine Eigenschaften klarmachen. Für die meisten Menschen ist Licht so selbstverständlich, dass sie sich keine Gedanken darüber machen, wie es überhaupt dazu kommt, dass wir ein beleuchtetes Objekt sehen, Farben erkennen oder durch eine Glasscheibe schauen können, während Kleidung unsere Körper vor den Blicken anderer verbirgt.
Licht geht von einer Lichtquelle aus. Die kann die Sonne, eine Glühbirne oder auch ein Feuer sein. Dieses Licht fällt auf ein Objekt, das es stärker oder schwächer reflektiert. Ein Auge oder eine Kamera verarbeitet diese Reflektionen und ermöglicht es, daraus ein Bild zusamenzusetzen. Verschiedene Objekte reflektieren Licht unterschiedlich. Wenn bestimmte Wellenlängen des sichtbaren Bereichs verschluckt werden, ergibt dies Farben – je mehr Licht eine Oberfläche verschluckt und nicht reflektiert, desto dunkler wird es, bis hin zu einem völlig schwarzen Objekt.
Es werden aber nicht nur Farben wahrgenommen, sondern auch Formen und Oberflächenstrukturen. Verschiedene Oberflächen reflektieren Licht unterschiedlich. So zerstreut eine Raufasertapete zum Beispiel Licht in alle möglichen Richtungen. Bei einem Spiegel ist genau diese Zerstreuung des Lichts in alle Richtungen nicht der Fall. Dessen Oberfläche ist glatt, und so werden die einfallenden Lichtstrahlen nicht durcheinandergebracht. Ein Spiegel reflektiert das Licht genauso, wie es darauf gefallen ist – so kann man problemlos erkennen, was sich vor dem Spiegel befindet. Mithilfe eines Spiegels kann man also auch um die Ecke fotografieren, sofern er richtig aufgestellt ist.
Katz und Small forschen daran, genau das zu ermöglichen. Sie untersuchen eine nicht spiegelnde Wand und können so feststellen, wie die Lichtwellen von dieser zerstreut werden. Diese Zerstreuung rechnen sie später am Computer heraus und setzen so das Bild wieder zusammen. »Wavefront shaping« nennt sich dieses Verfahren.
Haut Die zweite Anwendung – nämlich das Sehen durch ein blickdichtes Objekt wie die Haut – funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Ein Beispiel für ein blickdichtes Objekt ist Nebel. Er kann so dicht sein, dass man die Hand vor Augen nicht erkennt. Doch auch schon wesentlich weniger dicker Nebel kann undurchdringlich für das Auge werden, wenn man etwa auf der Autobahn in eine Nebelwand fährt und das Fernlicht einschaltet.
Das liegt daran, dass die winzigen Wasserteilchen, aus denen der Nebel besteht, das Licht chaotisch und in alle Richtungen reflektieren. Es gibt beim Nebel noch einen interessanten Effekt: Fernsehkameras machen es etwa bei einem nebligen Fußballspiel schon seit Jahrzehnten möglich, dass der Zuschauer vor dem Schirm deutlich mehr sieht als der Fan im Stadion oder die Spieler auf dem Feld. Dies zeigt deutlich, dass dasselbe Objekt mal mehr, mal weniger undurchsichtig ist – je nach Beleuchtung oder nach dem Werkzeug, mit dem man es betrachtet.
Nebel ist chaotisch, aber es gibt auch künstlichen Nebel: Milchglas. Der Vorteil von Milchglas ist für Katz und Small, dass das Glas nicht wie Nebel ständig in Bewegung ist – einmal analysiert, lässt sich das Bild per »wavefront shaping« wieder herausrechnen.
Milchglas erlaubt dem menschlichen Auge meist, zumindest Schemen dahinter zu erkennen. Ähnlich ist das bei menschlicher Haut – jeder, der sich schon einmal mit einem Hammer auf den Daumen gehauen hat, kann das bestätigen: Das gibt ein Hämatom, auch bekannt als »blauer Fleck«. Das ist eine Einblutung unter der Haut, die man dennoch durch die Haut sehen kann.
Atome Das Interessante dabei aber ist, dass eigentlich jeder Gegenstand durchsichtig ist. Auf atomarem Level besteht auch ein fester Körper aus jeder Menge leerem Raum, in dem die Atome praktisch schweben und mit anderen Atomen interagieren. Die Atome sind so klein, dass ihre lichtabschirmende Wirkung verschwindend gering ist – es sind aber wiederum so viele, dass sie noch weniger gleichmäßig ausgerichtetes Licht hindurchlassen als die besagte Nebelwand.
Doch wieso sollte man überhaupt durch Haut hindurchsehen wollen? Eine der Anwendungen wäre zum Beispiel in der Medizin. Schon heute versuchen Ärzte, in den Körper zu sehen, ohne ihn gleich aufschneiden zu müssen. Per Ultraschall, Röntgenstrahlung, CRT oder MRT lassen sich mehr oder weniger verschwommene Bilder des Inneren erzeugen.
Das Problem dabei ist, dass diese Bilder nur zwischen verschieden dichten Stellen im Körper unterscheiden können – nicht aber genau abbilden, was da wirklich ist. Dazu muss nach wie vor aufgeschnitten werden – das nennt man dann Biopsie. Es wäre doch praktisch, wenn man einfach einen Blick mit einer Kamera darauf werfen könnte, statt gleich zum Skalpell zu greifen.
Ori Katz, der seine Forschungen demnächst in Paris fortsetzen wird, weiß zwar, dass die Super-Kamera noch nicht ausgereift ist. »Aber selbst wenn unsere Erfindung niemals in der Medizin angewendet werden sollte, hat sich unser Projekt gelohnt«, sagt Katz, »denn es ist einfach cool.«