Die Begrüßung fällt aus. Ein Jahr nach dem Massaker der Hamas an 1200 israelischen Zivilisten am 7. Oktober 2023 sitzen Vizekanzler Robert Habeck (55) und Moderator Michel Friedman (68) auf der Bühne des Berliner Ensembles. Der große Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt.
Friedman beginnt direkt mit einer Überlegung, die viele Juden anstellen – und sie gleichzeitig nicht mehr hören können, wenn sie von Journalisten kommt. Michel Friedman ist Jude und Journalist. »Am 7. Oktober 2024 denken Juden darüber nach, ob sie hier noch leben können. Ist das ein Offenbarungseid dieser Gesellschaft? «, fragt er.
Ein Offenbarungseid sei es nicht, sagt der Grünen-Politiker, Bundeswirtschaftsminister und Philosoph Robert Habeck – sondern so werde transparent gemacht, was sich in die Gesellschaft eingeschlichen und eingefressen habe. Damit beginnt ein fast zwei Stunden langes Ringen der beiden Männer um die richtigen Worte zum Antisemitismus, der AfD, dem Krieg Israels gegen die Hamas, die Hisbollah und der Rolle des Iran.
Robert Habeck sitzt nicht zum ersten Mal mit Michel Friedman auf einer Bühne. Die beiden duzen sich (außer einmal, als Habeck ins »Sie« verfällt), und Friedman bezeichnet Habeck als »Freund«. Trotzdem geht der Moderator den Politiker hart an. Was in den letzten 20 Jahren im Kampf gegen den Antisemitismus eigentlich passiert sei außer Worten?
»Hybris der Demokraten«
»Man hat nicht genau hingeguckt, weil man sich in der Überzeugung gewähnt hat, man tue ja das Richtige, sagt Habeck. In der Wendezeit habe man sich in Deutschland der Illusion hingegeben, alles sei »leicht und freundlich«. Und man habe nicht wahrhaben wollen, wie sich autoritäre Strömungen im In- und Ausland verbreitet hätten. Durchaus selbstkritisch spricht er von der »Hybris der Demokraten«.
Doch Friedman reichen Habecks drei Begründungen für das Wegsehen nicht, er erwähnt den Brandanschlag von Hoyerswerda, den NSU, die Gewalt von Terroristen, das Sympathisanten-Netz von Extremisten in der Gesellschaft. Wie könne man angesichts der Bewachung jüdischer Schulen und Kindergärten sagen, »ich glaubte an den Liberalismus und die Menschenrechte, aber deswegen konnte ich nicht gesehen habe, wie ernst die Sache sich schon seit Jahrzehnten ausbreitet?«
»Ich kann keine vierte und fünfte Antwort hinzufügen«, sagt Habeck. Er könne sich nur selbst kritisch hinterfragen. Damit sind die Rollen für den Rest der Diskussion festgelegt: der »harte Moderator«, dessen Fragen immer wieder zu Co-Referaten ausufern, und der zerknirschte Politiker und Philosoph. Spätestens jetzt ahnt man: Dieser Abend wird kein leichter sein.
Was viele im Publikum spüren, bringt Habeck nach mehr als einer Stunde zum Ausdruck. »Ich wollte sagen, dass der Abend für mich sehr schwer ist«, gesteht der Grünen-Politiker, als er, unter anderem auf Antisemitismus unter Linken, Muslimen, antisemitische Hetzpropaganda Erdogans und die Türkei-Politik der Ampel-Koalition angesprochen, anschließend auf die Frage antworten soll: »Sind wir, wenn es um Judenhass geht, hilflos?«
»Nicht der vergnüglichste Abend in dieser Legislaturperiode«
Auch für ihn sei es ein schweres Gespräch, antwortet Friedman – und dankt Habeck dafür, dass er sich als »wichtiger Politiker« seinen Fragen stelle. Es gehe um seine politische Identität, erklärt Habeck, um seine Verpflichtung, die er aus der Geschichte ableite, sagt der Grünen-Politiker. Aber er habe vorher gewusst, »dass es nicht der vergnüglichste Abend in dieser Legislaturperiode werden würde«.
Erst zum Schluss nimmt das Gespräch Fahrt auf. Es geht es um Außenpolitik – wobei Habeck bestreitet, dass Waffenlieferungen an Israel wegen des Gaza-Kriegs komplett gestoppt worden seien. Es geht um die destruktiven Rollen des Iran, Russlands, China und Nordkoreas. Es geht nicht um die Resolution zum Schutz jüdischen Lebens, die der Bundestag bisher nicht verabschiedet hat – offenbar auch wegen Bedenken der Grünen in bezug auf die Definition israelbezogenen Antisemitismus. Wo ist eigentlich der harte Moderator geblieben, der diese Frage stellt? Weder Friedman noch Habeck bringen das Thema zur Sprache.
Beim Schlussapplaus rückt Michel Friedman nahe an Robert Habeck heran – und Habeck mehrmals ein Stückchen weg von Friedman, bis der Viekanzler schließlich alleine vorne auf der Bühne steht und den langen Beifall des Publikums entgegennimmt.
»Nichts Neues« habe ihm das Gespräch gebracht, urteilte ein älterer Zuhörer nach dem Ende der Veranstaltung. »Sehr anspruchsvoll« sei es gewesen, aber auch sehr interessant, das müsse man erst mal sacken lassen, sagten mehrere aus einer Gruppe junger Besucher. Friedmans Fragetechnik habe sie noch nie gemocht, erklärte eine ältere Frau.
Als ob der Abend nicht schwer genug gewesen wäre, zog eine andere Besucherin auf dem Weg zur U-Bahn die Glaubwürdigkeit des jüdischen Moderators komplett in Zweifel - und reproduzierte antisemitische Stereotype. Wie Friedman behaupten könne, dass er sich in Deutschland nicht frei bewegen könne (der Moderator sprach davon, dass er in Neukölln keinen Davidstern offen tragen könne), wo er doch prominent auf Bühnen sitze?
Auch das Thema Geld durfte da nicht fehlen. »Was der alles so verdient!«, meinte die Frau zu wissen - und das ausgerechnet nach einem langen Gespräch über Antisemitismus am 7. Oktober im Berliner Ensemble.