Europameisterschaft

Schweizer Kleinbruderkomplexe und deutsche Hochnäsigkeit

Diesen Text hoffte ich eigentlich nie schreiben zu müssen. Aber das bevorstehende Fußballspiel, bei dem die Schweiz gegen Deutschland antritt, zwingt mich dazu. Plötzlich steht da auf dem Rasen dieser vermeintlich große Bruder gegen den vermeintlich kleineren. Aber stimmt das denn wirklich?

Fangen hier nicht schon die ersten Stereotype in meinem Kopf zu wirken an wie Schmerztabletten, damit ich mich mit der Vorstellung zufriedengeben kann, dass diese beiden Länder eng genug verwandt sind, um sich im Nachbarland schon fast zu Hause zu fühlen. Aber eben vielleicht doch nur fast. Insbesondere Deutsche, die in die – notabene – deutschsprachige Schweiz ziehen, gehen erst einmal davon aus, dass »hier« vieles so läuft, wie sie es von zu Hause, eben von Deutschland, gewohnt sind, inklusive der Sprache.

Ein idealisierter Ort mit fast paradiesischem Charakter

Außerdem ist die Schweiz für Deutsche ein idealisierter Ort mit fast paradiesischem Charakter: friedlich, geordnet, sauber, diszipliniert. Ist man doch in Deutschland auch. Weshalb dann diese Faszination für die Schweiz? Nur Postkarten­idylle kann es nicht sein. Vermutlich sind es eben doch die höheren Löhne. Doch erst einmal angekommen, oder eben nicht, fängt es schon an: Da stolpert mancher Deutsche nicht nur über Finken, sondern auch über viele andere Helvetismen, die ihm im Alltag im Wege stehen, weil sie ihm nicht geläufig sind. Aber es geht über die vermeintlich gemeinsame Sprache und den – aus deutscher Sicht – stark überhöhten Akzent hinaus.

Deutsche und Schweizer sprechen nicht gleich, weil sie eben nicht gleich sprechen: Dass sich Schweizer in Sachen Streit- und Diskussionskultur anders als Deutsche verhalten, wird besonders in der Politik beziehungsweise in der politischen Kultur deutlich. Im Vergleich zu den geharnischten Diskussionen im Deutschen Bundestag, wirken selbst die heftigsten Debatten im Schweizer Nationalrat geradezu zahm. Diplomatie, Konsensorientiertheit und ein höflicher Umgang, damit wollen die Schweizer punkten.

Zauberwort ist nicht nur die Rede-, sondern die Alltagskultur. Phänomene wie die, dass die Schweizer schon fast in exzessiver Weise den Nachfolgenden die Tür aufhalten, auch wenn diese noch meterweit entfernt sind, dass in der Schweiz auffällig viele Mitarbeiter nach dem Mittagessen ihre Zähne putzen, oder dass am Ende von Veranstaltungen und Vorlesungen nur zögerlich Fragen gestellt werden, wenn überhaupt, sind illustre Eigenheiten des hochalemannischen Bruders.

Die Schweizer kultivieren ihre Differenzen

Zugegeben: Die Schweizer kultivieren ihre Differenzen ja auch und fühlen sich umso mehr beschämt, wenn ihre Kleinbruderkomplexe von Deutschen nicht ernst genommen werden. Dinge, die man an sich selbst nicht mag, hasst man am anderen umso mehr. Deutsche sind nicht per se arrogant, Schweizer nicht per se langsam.

Außerdem hat sich auch die Schweizer Mentalität dahingehend geändert, dass mittlerweile ein Zürcher, Basler oder Berner sich in Sachen Selbstsicherheit mit seinem »Verwandten« aus Berlin, Frankfurt oder Hamburg durchaus messen kann. Alles nicht so wichtig wie ein Fußballmatch? Richtig. Lehnen wir uns zurück, gönnen wir uns ein Pils oder etwas helvetisch Gebrautes, Hauptsache gekühlt, und freuen uns über die Tore – auch über die des Nachbarn.

Kerrville

Kinky Friedman ist tot

Der Künstler galt als der »Frank Zappa der Country Musik«

 28.06.2024

Raub- und Fluchtgut

Raphael Gross: Bührle-Stiftung machte ungenügende Arbeit

Emil Bührle profitierte als Waffenhändler und Kunstsammler doppelt von den Verbrechen der Nazis. Seine Stiftung hat diese Geschichte noch nicht ausreichend aufgearbeitet

von Nils Kottmann  28.06.2024

Gastbeitrag

Kunsthaus Zürich muss Herkunft von NS-Raubkunst erforschen

Der Bericht zur Sammlung Bührle ist eine Ansage, so Jonathan Kreutner

von Jonathan Kreutner  28.06.2024

Meinung

Die Verantwortung der Öffentlich-Rechtlichen

Der ÖRR sollte nicht die Existenzberechtigung von Juden und Israel canceln

von Jacques Abramowicz  27.06.2024

Streaming

Glamour und Krisen

Diane von Fürstenberg ist mehr als eine Designerin. »Woman in Charge« gibt Einblicke

von Katrin Richter  27.06.2024

Sehen!

»Auf nach Italien!«

Eine Ausstellung in Berlin zeigt Max Liebermanns Bilder des Landes, wo die Zitronen blühen

von Sophie Albers Ben Chamo  27.06.2024

Musik

Auf einer Welle

Vier Solisten und die Berliner Symphoniker geben in der Philharmonie in Berlin ein Konzert, das jüdische und klassische Musik vereinen will – und es schafft

von Katrin Richter  27.06.2024

Ulm

Neues Ulmer Museum widmet sich Einsteins Familie

Neben Einstein-Figuren und Briefmarken wird ein Lego-Modell seines Geburtshauses zu sehen sein

 26.06.2024

Geschichte

Scharfe Beobachterin

Die Osteuropa-Historikerin Anne Applebaum erhält den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

von Ralf Balke  26.06.2024