Es war ein später Berliner Sommerabend. Ich saß mit meiner Freundin Vivi auf dem Sofa, der Geruch frisch gemähten Grases strömte in mein Wohnzimmer, wir tranken Wein – und redeten über Geld. »So ‹ne Million, das wäre schon toll!«, sinnierte ich in den Raum hinein. Vivis logische Schlussfolgerung war, mir vorzuschlagen, mich bei Wer wird Millionär? als Kandidatin zu bewerben. Noch bevor ich mit »Na, wenn das so einfach wäre!« kontern konnte, hatte sie sich schon meinen Laptop geschnappt und mich auf der Show-Website registriert. Es war tatsächlich doch so einfach.
casting Von da an ging alles recht schnell: Eine sehr freundliche Casterin führte insgesamt vier Telefoninterviews mit mir, in denen sie mir Wissensfragen stellte, meine soziale Kompetenz prüfte und erleichtert schien, dass ich einen semitischen Background habe, der mir das Plappern, ohne aufgefordert zu werden, in die Wiege gelegt hat. Hier muss ich hinzufügen, dass nach jeder überwundenen Telefonhürde offenbleibt, ob man eine Runde weiterkommt. Es hieß: Geduld beweisen und sämtliche Schuhkäufe auf unbekannte Zeit verschieben.
Ende August war es dann so weit: Ich bekam eine schriftliche Zusage von Wer wird Millionär?, und meine Mutter konnte nun endlich die halbe Gemeinde anrufen. »Nu, du Millionärin, hat sich doch alles gelohnt!«, rief man mir eines Schabbats in der Synagoge zu. Ähhh? Was genau hatte sich gelohnt? Meine Geburt? Mein Studium? Meine Beförderung kürzlich? Oder die kurze Online-Bewerbung bei einem privaten TV-Sender?
Von da an hatte ich vier Wochen Zeit, um mich auf die Show vorzubereiten. Meine Eltern heiterten mich in der Zwischenzeit mit »Wir lieben dich auch mit 500.000 Euro« und meine Freunde mit »Bald bist du nicht mehr Single« auf.
Schneller als mir lieb war, kam dann der Tag der Aufzeichnung. Wie es sich für ein gutes jüdisches Kind gehört – und weil niemand anderes Zeit hatte –, nahm ich meine Mutter als Begleitperson mit. Um 13 Uhr mussten wir im Studio sein, ein Marathon an Briefings, Studiorundgängen und Outfitchecks folgte. Während meine Nervosität von Stunde zu Stunde stieg, las meine Mutter die Autobiografie der Enkelin des KZ-Kommandanten Amon Göth. Eine Szene, wie von Woody Allen verfilmt.
hürde Dann kam die Vorauswahl mit einer Schnellraterunde. Ich betete zu sämtlichen mir bekannten G’ttern. Ob ich es nun Jahwe, Buddha oder Jesus zu verdanken habe: Wenige Minuten später saß ich tatsächlich auf dem berühmten Stuhl, mit meiner Mutter hinter mir, Günther Jauch vor mir und dem Gedanken an eine Million Euro über mir. Alles lief glatt, bis ich zur »Metzgerfrage« kam. Ausgerechnet mir wurde eine Frage gestellt, in der es um Schweinemett und Schokoschinken ging. Das war sicherlich Moses’ Rache dafür, dass ich auch Jesus in meine Stoßgebete eingeschlossen hatte. Dank des 50/50-Jokers entschied ich mich richtigerweise für die Antwort »Sahneleberwurst« und kämpfte mich weiter durch, bis ich an der 32.000-Euro-Hürde stolperte. Gefühlte 1000 Kilo leichter und 32.000 Euro reicher fuhren meine Mutter und ich nach Hause. Am nächsten Tag war Erew Rosch Haschana – das Jahr hätte nicht süßer starten können.
Natürlich bin ich stolz, dass ich erfolgreich an der Show teilgenommen habe. Noch stolzer bin ich jedoch darauf, vier Wochen lang Stillschweigen über den Ausgang bewahrt zu haben, bevor die Aufzeichnung diese Woche ausgestrahlt wurde. Wer mit der jüdischen Flüsterpost vertraut ist, weiß, was für eine Leistung das war.