Dass Adriana Altaras so freimütig aus ihrem Leben erzählt, ist ein Glücksfall. Von der ersten Seite an nimmt sie ihre Leser mit: ans Meer, wo sie ihren Gedanken übers Älterwerden freien Lauf lässt; auf die Opernbühne, die Sängern aus aller Welt nicht nur Asyl, sondern Freiheit ermöglicht; zum kurdischen Fischhändler, der türkische Geschichte aus seiner Sicht beschreibt; in die Synagoge, wo sie über Heimat nachdenkt – einen aus ihrer Sicht »überbewerteten Begriff«. So punktgenau und zugleich schonungslos und selbstironisch zu schreiben, das ist nicht alltäglich – auch wenn genau davon Adriana Altaras’ Kurzgeschichten handeln: vom Alltag.
Nach ihren Büchern Doitscha und Titos Brille schildert die Schauspielerin, Regisseurin und Autorin in ihrem neuen Erzählband Das Meer und ich waren im besten Alter komische und skurrile Begegnungen mit Verwandten, Freunden und Kollegen, mit Theaterleuten und Rabbinern.
wahlheimat Altaras’ Beobachtungen sind ebenso klug und scharfsinnig wie unterhaltsam. Sie sind erfrischend nah am Leben angesiedelt und lassen dennoch genügend Raum, dem Gelesenen nachzuspüren – den Erfahrungen als Mutter zweier Söhne etwa wie auch ihren Auseinandersetzungen mit der Wahlheimat Berlin, der »großen hässlichen Geliebten«.
Die Themen, die Altaras in ihren Kurzgeschichten nicht loslassen, sind universal – gerade das macht das Buch so lesenswert. Sie handeln vom Umgang mit der eigenen Familiengeschichte wie auch von Mut und Zivilcourage, von Sehnsucht, Liebe und Eifersucht. So ergründet die Berliner Autorin, die 1960 in Kroatien geboren wurde, auch existenzielle Fragen wie Fluchterfahrung und Identität.
In nächtlichen Gesprächen mit ihrem Sohn etwa beschreibt sie einfühlsam die Sorgen Heranwachsender, spürt dem Dilemma zwischen Erinnerungen und Gegenwart nach, schreibt von den alten Möbeln ihrer Tante, die plötzlich nachts durch ihre Träume spuken. Und sie sagt der Angst vehement den Kampf an.
mascha kaléko Altaras schreibt mit spitzer Feder und »frecher Klappe«, persönlich und geistreich, witzig und anregend. Da ist womöglich etwas dran an der Seelenverwandtschaft mit Mascha Kaléko, deren Entdeckung Altaras in einem ihrer stärksten Kapitel mit viel Staunen und Einfühlsamkeit schildert.
»Der Alltag ist ihr Steckenpferd. Danke, würde ich rufen, wenn sie neben mir säße. Was ist spannender als das Leben?« Man kann sie sich gut zusammen vorstellen – zwei freigeistige Frauen, die das Leben lieben und den Ton ihrer Zeit treffen.
Adriana Altaras: »Das Meer und ich waren im besten Alter«. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 224 S., 8,99 €