Schon seit ein paar Tagen spielt er dort. Jeden Abend nur er und das Klavier, ausverkauft seit Monaten. Dabei ist das Zappa im Norden von Tel Aviv nicht gerade ein kleiner Konzertsaal. So wie der Hangar 11, wo es anschließend gleich weitergeht, eine Location, in der der Sänger ein paar Tage lang mit seinem Idan Raichel Collective auftreten wird.
Auch dort – mehr als 2000 Fans passen in den Hangar – sind die Konzerte restlos ausverkauft. Das schaffen nicht viele israelische Musiker. Doch in seiner Heimat ist Idan Raichel längst ein Superstar. Die Fans kennen seine Songs in- und auswendig – auch schon die seines neuen Albums At the Edge of the Beginning.
Wandel Mit ein paar Wochen Verzögerung ist die CD nun auch in Deutschland erschienen. Die Songs markieren einen künstlerischen Wandel: Die meisten singt Raichel auf Hebräisch, nur vom Klavier begleitet. Für einen Musiker, dessen Hauptaufgabe in den vergangenen zwölf Jahren vor allem darin bestand, Künstler aus allen Erdteilen in seinen Musikkosmos zu integrieren, ist das tatsächlich ein Novum.
Statt multikultureller Vielfalt gibt es nun ein gepflegtes Singer-Songwritertum. »Manchmal musst du innehalten und zu den einfachen Dingen im Leben zurückkehren«, sagt der 1977 in Kfar Saba geborene Sänger, der im Laufe seiner Karriere mit Musikern wie Marta Gómez und Alicia Keys aufgetreten ist und sogar schon für US-Präsident Barack Obama gespielt hat.
Angefangen hatte Idan Raichel als Akkordeonspieler. Bei der Zahal ist er dann mit Einwanderern aus Äthiopien in Berührung gekommen, Menschen aus den Flüchtlingslagern im Sudan, die seit längerer Zeit schon in Israel lebten, deren Musik aber vom israelischen Mainstream-Radio nicht gespielt wurde. »Der große Wandel, der vom Idan Raichel Project ausging, war, dass es die Stimme der Minderheiten, der Menschen auf der Straße und ihre Sprache, in die großen Sender gebracht hat«, so Raichel.
Vorfahren »Meine Songs sind in einem Sinne israelische Musik, als sich in ihnen eine große Vielfalt spiegelt, und ich glaube, man kann darin auch Spuren meiner deutschen und meiner polnisch-russischen Vorfahren hören«, sagt Raichel und spielt auf seine Berliner Großmutter an. Idan Raichel hat schon mehrmals in der deutschen Hauptstadt gespielt.
Beim letzten Konzert hat er den deutschen Star-Countertenor Andreas Scholl und dessen Ehefrau, die israelische Cembalo-Spielerin Tamar Halperin, spontan auf die Bühne geholt. Zu dritt wurde das Barocklied »In stiller Nacht« gespielt. Selbst für eingefleischte Fans, die schon an so manchen künstlerischen Seitensprung des Israelis gewöhnt waren, kam das einer künstlerischen Sensation gleich.
Gemessen an derartiger stilistischer Vielfalt ist das neue Album At the Edge of the Beginning geradezu geradlinig und introvertiert. Es beginnt mit ein paar verträumten Klavierläufen, um dann in einem simplen, von Klavier begleiteten Song zu münden. Bei manchen Titeln kommen ein gezupfter Kontrabass und ein hauchzarter Jazzbesen zum Einsatz.
Deutsch Doch obwohl »In Five Seconds« sogar ein richtiger Rocksong mit einer knackigen Bassline und Bläsersätzen ist, handelt es sich insgesamt um ein Album, bei dem Raichels großartiges Songwriting in den Vordergrund drängt, schnörkellos vorgetragen ohne eine Heerschar exotischer Musiker. Die neuen Titel machen deutlich, dass Raichel einer der großen Songschreiber Israels ist, dessen Melodien noch in Jahren mitgesungen werden.
Es wirkt so, als sei Idan Raichel nach all den Ausflügen in ferne musikalische Welten zu sich selbst heimgekehrt, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass er inzwischen eine eigene Familie hat. Seine Frau ist Wienerin, die beiden haben mittlerweile zwei Töchter. »Es wird zu Hause sehr viel Deutsch gesprochen, auch wenn ich kein Wort verstehe. Kurioserweise können meine Frau und meine Mutter Deutsch miteinander sprechen.« Und auch die Töchter lernen die Sprache fleißig. Sie hören Kassetten von Pippi Langstrumpf und Nena.
Mal abwarten, wie lange sich Idan Raichels Musik noch gegen derartige Einflüsse wehren kann.
Lesen Sie auch unsere redezeit mit Idan Raichel:
www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/24424