Viele haben es getan. Federico Fellini in seinem Klassiker Amarcord, Paul Thomas Anderson, Paolo Sorrentino oder James Gray in ihren aktuellsten Filmen Licorice Pizza, Die Hand Gottes und Zeiten des Umbruchs: Sie haben Erinnerungen oder – noch stärker autobiografisch gedacht – die eigene Kindheit, die Jugend oder das Erwachsenwerden filmisch verarbeitet.
Mit Die Fabelmans reiht sich nun auch Steven Spielberg ein.
Für den amerikanischen Regisseur war das Kino schon immer Mittel zur Selbstreflexion und zum Träumen. Da ist der ungebrochene Glaube an das Gute, ein manchmal in Zuckerwattigkeit kippendes Weltbild, das sein Werk ebenso durchzieht wie die Auseinandersetzung mit abwesenden Vätern, mit Familie überhaupt.
MYTHOS All das steckt auch in Die Fabelmans, seinem persönlichsten Film. Spielberg schreibt darin so unverhohlen wie sympathisch den Mythos um seine Person kinematografisch fort, technisch brillant wie eh und je und, nach einem gemeinsam mit Tony Kushner verfassten Drehbuch, unglaublich dicht erzählt mit doppeltem Boden.
»Die Fabelmans« ist einer der besten Filme von Steven Spielberg überhaupt.
Gleich in den ersten Szenen ist vieles angelegt: Spielbergs Alter Ego Sammy (Meteo Zoryon Francis DeFord) hat Angst vor dem ersten Kinobesuch. Die Eltern leisten Überzeugungsarbeit, Mutter Mitzi (Michelle Williams) erzählt vom Kino als tollem Traum, Vater Burt (Paul Dano) argumentiert technisch, wie die Bilder laufen lernen: eine Dialektik zwischen Technik und Kunst, die den gesamten Film durchzieht und Spielbergs Schaffen selbst charakterisiert.
Momente später sitzt der Junge staunend im Kinosaal, während auf der gewaltigen Leinwand, in Cecil B. DeMilles semi-dokumentarischem Spielfilm Die größte Schau der Welt, ein Zug in einen anderen kracht. Die Brüder Lumière, ihr berühmter Zug und damit ein Geburtsmythos des Kinos schauen hier um die Ecke.
Mit dieser Konzentration geht es weiter, geben sich Familiendrama, (künstlerisches) Coming of Age, Filmgeschichte und Reflexion des Mediums die Klinke in die Hand.
CHANUKKA Zu Chanukka 1952 wünscht sich der Achtjährige eine Modelleisenbahn, die bei Kerzenschein ausgepackt wird. »Juden haben keine Weihnachtslichter«, erklären die Eltern dem Nachwuchs. Mit der Eisenbahn stellt der Junge den Crash aus dem Film nach und hält ihn mit einer Kamera, die Mitzi ihm gibt, fest.
Die Kamera ist der Beginn eines Hobbys, aus dem schnell mehr wird. Sammy dreht einen Mumienfilm mit den in Toilettenpapier eingewickelten Schwestern, er wird zum Videodokumentaristen der Familie.
Später sind auch die Dreharbeiten zu Spielbergs 40 Minuten langem Kriegsfilm Escape to Nowhere zu sehen, den der Regisseur im Teenageralter mit Freunden, Nachbarn und Schulkameraden drehte.
»Wir sind Junkies, Kunst ist unsere Droge« erklärt Onkel Boris, herrlich verrückt gespielt von Judd Hirsch in einem Kurzauftritt. Strukturiert durch die Umzüge infolge der Jobwechsel des Vaters, eines Computeringenieurs, gestaltet sich Die Fabelmans als Stationendrama.
STATIONENDRAMA Von New Jersey geht es nach Arizona und schließlich nach Kalifornien, wo der von Gabriel LaBelle gespielte Teenager Sam – der darauf besteht, »nicht Sammy!« genannt zu werden – mit Antisemitismus konfrontiert wird und seiner ersten Liebe begegnet, einem Mädchen, das Jesus »sexy« findet.
Spielberg lässt seinen Film mit einer Bilderbuchfamilie beginnen, um nach und nach hinter die Fassade zu schauen. Der Blick durch die Kamera ist, davon erzählt Die Fabelmans, vielschichtig: Er kann wahrhaftig sein oder das Gemachte, die Inszenierung, zelebrieren.
In einem zentralen Moment entdeckt Sam auf seinen Aufnahmen von einem familiären Campingausflug, dass der sehr gute Familienfreund Bennie (Seth Rogen) für Mitzi mehr zu sein scheint. Später inszeniert er einen verhassten Rüpel aus der Schule in einem Film vom kollektiven Strandausflug vor dem Abschlussball als griechischen Adonis. Zwischen diesen beiden Polen, dem Gemachten und dem Wahrhaftigen, changiert Die Fabelmans produktiv auf allen Ebenen.
»Kunst ist unsere Droge«, sagt Onkel Boris – herrlich verrückt gespielt von Judd Hirsch.
Deutschlandpremiere feierte der für sieben Oscars nominierte Film auf der Berlinale, wo Spielberg die Hommage gewidmet war und ihm der Goldene Ehrenbär überreicht wurde. Sein Fußabdruck in der Filmgeschichte ist gewaltig: Der weiße Hai, E.T. – Der Außerirdische, Schindlers Liste, die Indiana-Jones-Reihe oder Jurassic Park und so weiter und so fort. Und nun eben Die Fabelmans, Spielbergs wunderbare Liebeserklärung an das Kino und an seine Eltern: einer seiner besten Filme überhaupt, ein Schlüsselwerk mit dem wohl vorletzten Soundtrack seines langjährigen Weggefährten John Williams.
Am Ende trifft Sam die Regielegende John Ford, gespielt von Regielegende David Lynch mit Augenklappe und Mütze. Das ist eine vor Selbstironie platzende Szene für die Ewigkeit, wie Lynch da gefühlt minutenlang die gewaltige Zigarre anzündet. Sam erhält eine augenzwinkernde Lektion fürs Regieleben, und am Ende reißt die Kamera nach oben.
Der Film läuft ab dem 9. März in den Kinos.