Popmusik

»Schlechter Einfluss auf die Jugend«

Es war 1965, das Jahr, in dem die Beatles ihre weltweite Hegemonie in der Popmusik zementierten. Paul McCartney schrieb seinen Klassiker »Yesterday«, der auf der legendären LP Help! erschien. Der von Richard Lester inszenierte zweite Film der Gruppe – ebenfalls Help! betitelt – kam in die Kinos, nachdem die vier Jungs aus Liverpool zuvor durch Europa getourt waren und Millionen Teenager in Verzückung versetzt hatten.

Auch Israel hätte nach dem Willen der Musiker und ihres Managers Brian Epstein eigentlich eine Station der Tournee sein sollen. Doch dazu kam es nicht. Die Beatles waren in Israel offiziell unerwünscht. So hatte es das staatliche Komitee für Gastspiele von Künstlern dekretiert, und dabei blieb es, auch wenn der Ukas für zahlreiche Proteste sorgte und sowohl das Oberste Gericht des Landes wie auch die Knesset beschäftigte.

beamte
Schuld an der Entscheidung hatte, wenn man so will, ein anderes Teenie-Idol, Cliff Richard. Dessen Auftritt in Israel 1963 hatte zu Szenen geführt, wie man sie dort bis dahin nicht erlebt hatte. Hunderte wild gewordene Cliff-Fans hatten sich am Flughafen Lod eingefunden, um den britischen Sänger bei seiner Ankunft willkommen zu heißen. Einige von ihnen stürmten sogar das Rollfeld. Cliff Richard wurde bei der Landung mit hysterischem Geschrei begrüßt. Die überforderte Polizei war nicht imstande, Ruhe und Ordnung herzustellen. Ein Auftritt der Beatles, fürchtete das Komitee, würde zu ähnlichen Phänomenen führen, wahrscheinlich in noch größeren Dimensionen.

Das Komitee war in den 50er-Jahren gegründet worden. Es sollte den ethisch-künstlerischen Wert von Gastspielen ausländischer Künstler evaluieren und Sicherheitsfragen bei Auftritten klären. Dem Gremium gehörten Vertreter des Erziehungs-, des Finanz- und des Innenministeriums an, außerdem Repräsentanten der Rundfunkbehörde und anderer staatlicher Körperschaften. Den Vorsitz führte Avner Israeli, der stellvertretende Generaldirektor des Erziehungsministeriums.

komitee Im Januar 1964 beantragten die israelischen Musikpromoter Avraham Bugtier und Jaakov Ori bei dem Komitee eine Genehmigung, John, Paul, George und Ringo zu einem Konzert nach Israel zu holen. Der Antrag wurde abgelehnt, mit der Begründung, dass die Band einen schlechten Einfluss auf Israels Jugend ausüben könnte. Bugtier und Ori legten dagegen Widerspruch ein.

Den wies das Komitee einen Monat später ab, diesmal mit der Begründung, dass, erstens, die Musik der Beatles keinerlei künstlerischen Wert besitze, zweitens, Auftritte der Gruppe anderswo zu Massenhysterie geführten hätten. Als Beleg dafür dienten zahlreiche nationale und internationale Zeitungsartikel sowie Eindrücke von Beamten der Abteilung Kulturaustausch des Außenministeriums.

Komiteechef Avner Israeli hatte bei der Entscheidung die Rückendeckung seines Vorgesetzen Jaakov Schneider, Generaldirektor des Erziehungsministeriums. Dessen Sohn Jossi Sarid, später Abgeordneter der linken Meretz-Partei und von 1999 bis 2000 selbst Erziehungsminister, sagte 2008 der Nachrichtensite Ynet: »Ich nehme an, man hat meinem Vater, der nicht gerade ein großer Beatles-Experte war, erzählt, dass die Musiker lange Haare hätten, Drogen nähmen und bestimmt die israelische Jugend verderben würden.«

proteste Die israelische Musikszene wollte das Verbot nicht hinnehmen. Baruch Gilon, Vorsitzender des Verbands der Musikpromoter, protestierte bei Avner Israeli. Das Komitee habe seine Befugnisse überschritten; es habe kein Recht, den künstlerischen Wert von Bands zu beurteilen; seine Zuständigkeit sei auf Werte- und Sicherheitsfragen beschränkt. Der Rechtsberater des Ministeriums wies das zurück. Das Komitee habe laut Gründungsurkunde die explizite Befugnis, »das professionelle Niveau« von Künstlern, die in Israel auftreten wollten, »zu gewährleisten«.

Den Promotern Bugtier und Ori schrieb Israeli, dass auch US-Jugendfürsorger ein Verbot von Beatles-Konzerten gefordert hätten, nachdem es bei Auftritten der Band zu Ausschreitungen und Massenhysterie gekommen sei: Teenies hätten gekreischt und seien in Ohnmacht gefallen, Menschen seien verletzt worden, die Polizei habe eingreifen müssen. Kein seriöser Promoter, so der Beamte, könne und dürfe die Verantwortung für solche Gefahren übernehmen, die im Gefolge von Beatles-Auftritten aufträten.

Es half auch nichts, dass Israels Jugend das Verbot beklagte. Ein Mädchen hatte an das Erziehungsministerium einen Brief geschrieben und seine Enttäuschung geschildert. Der Sprecher des Ministeriums antwortete, es gehe hier nicht um einen Generationenkonflikt zwischen spießigen Alten und der Jugend. Man wolle niemandem den Spaß verderben, so der Sprecher, habe aber ernsthafte Befürchtungen vor negativen Folgen, wie sie Beatles-Auftritte anderswo gehabt hätten.

knesset Vergeblich versuchten die Promoter schließlich, die Erlaubnis für ein Beatles-Konzert juristisch zu erzwingen. Im April 1965 entschied das Oberste Gericht des Landes in letzter Instanz, dass das Komitee für Gastspiele das Recht habe, ausländischen Künstlern Auftritte in Israel zu untersagen.

Bis in die Knesset hinein beschäftigten die Beatles das Land. Im Februar 1966 wollte der Abgeordnete Uri Avneri in einer mündlichen Anfrage wissen, warum die Gruppe in Israel nicht auftreten dürfe, obwohl die Fab Four inzwischen sogar von der Queen ausgezeichnet worden waren. Aharon Yadlin, der stellvertretende Erziehungsminister, antwortete Avneri: »Vom künstlerischen Standpunkt besitzt diese Sängergruppe keinen Wert.« Darüber hinaus hätte die Massenhysterie, die bei Auftritten der Band erfolge, einen großen Polizeieinsatz notwendig gemacht. In anderen Ländern, so Yadlin, hätten Beatles-Konzerte in Schlägereien geendet, deren Teilnehmer in Krankenhäusern stationär behandelt werden mussten.

So blieb Israel Beatles-freie Zone. Erst 43 Jahre später gab die Regierung offiziell zu, dass das Verbot ein Fehler gewesen war. Im Januar 2008 überreichte Israels Botschafter in Großbritannien, Ron Prosor, bei einer Zeremonie im Liverpooler Beatles-Museum einen offiziellen Brief an John Lennons Schwester Julia Baird. In dem Schreiben hieß es unter anderem: »Es besteht kein Zweifel, dass hier eine große Chance verpasst wurde, Menschen wie Sie, die das Denken einer ganzen Generation geprägt haben, nach Israel zu bringen, um dort vor den jungen Menschen aufzutreten, die Sie bewunderten und immer noch bewundern.«

Der Text ist ursprünglich auf Englisch in dem Blog des israelischen Nationalarchivs erschienen: israelsdocuments.blogspot.com

Hetzjagd auf israelische Fans

Comedian witzelt über Gewalt gegen Juden

Benaissa Lamroubal nennt auf Social Media die Ereignisse von Amsterdam eine »great experience« und wird dafür von seinen Fans gefeiert

von Ralf Balke  19.11.2024

Frankfurt/Main

Unsichtbarkeit ist keine Option

Zwischen Anpassung und Autonomie: Eine hochkarätige Tagung beschäftigte sich mit jüdischem Leben in Deutschland

von Eugen El  19.11.2024

Medien

Ausweitung der Kampfzone

Die israelfeindlichen Täter haben die »NZZ« ganz bewusst zum Abschuss freigegeben. Ein Kommentar

von Nicole Dreyfus  19.11.2024

Kulturkolumne »Shkoyach«

Madoschs Mensch

Wie eine Katze zwei Freundinnen zusammenbrachte – in einem Apartment des jüdischen Altersheims

von Maria Ossowski  19.11.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Über Mansplaining, Mut und Mitgefühl: Es fängt im Kleinen an

von Nicole Dreyfus  19.11.2024

Sachbuch

Auf dem Vulkan

In »Niemals Frieden?« rechnet der Historiker Moshe Zimmermann mit der israelischen Politik ab

von Ralf Balke  18.11.2024

Meinung

Maria und Jesus waren keine Palästinenser. Sie waren Juden

Gegen den Netflix-Spielfilm »Mary« läuft eine neue Boykottkampagne

von Jacques Abramowicz  18.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  18.11.2024

Kultur

Sehen. Hören. Hingehen.

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 18. November bis zum 21. November

 18.11.2024