Wer Verwandte oder Freunde hat, die im Gesundheitswesen arbeiten, der kennt den Satz nur allzu gut. »Diese Schichtarbeit macht mich einfach nur fertig«, lautet neben Beschwerden über nervige Patienten die wohl häufigste Klage über den Job. »Mein biologischer Rhythmus gerät regelmäßig durcheinander«, erklärt stellvertretend für viele ihrer Zunft Barbara Thomas, eine 49-jährige Krankenschwester aus Köln. Aber nicht nur das. »Im Laufe der Jahre habe ich trotz reichlich Bewegung und halbwegs gesunder Ernährung gewichtsmäßig kontinuierlich zugelegt.« Die Folge: Vor wenigen Monaten wurde bei ihr eine Diabetes Typ 2 diagnostiziert.
Nichts Ungewöhnliches, wie Wissenschaftler von der Harvard School of Public Health in einer Langzeitstudie an 180.000 Krankenschwestern schon vor einigen Jahren festgestellt hatten. Pro fünf Jahre Arbeit in Wechselschichten steigt das Risiko, an dieser Form der Diabetes zu erkranken, um jeweils fünf Prozent. Zudem neigen sie wie andere Berufsgruppen mit Schichtdiensten auch dazu, deutlich übergewichtiger als der Durchschnitt der Bevölkerung zu sein.
innere uhr »Über das Körpergewicht entscheidet also nicht nur das, was man isst, sondern ebenfalls, wann die Nahrungsaufnahme erfolgt und ob der Körper regelmäßig zur Ruhe kommen kann«, glaubt Eran Elinav vom renommierten Weizmann-Institut in Rehovot. »Oder anders ausgedrückt: Wer nicht ausreichend Schlaf zu festen Zeiten bekommt, der hat weniger Chancen, seine überflüssigen Pfunde loszuwerden.«
Dass ein gewisses Maß an Moppeligkeit mit zu wenig Nachtruhe zu tun hat, wissen Ernährungs- und Fitnessgurus schon lange. Sie empfehlen daher mindestens sieben Stunden Schlaf. Wer weniger als sechs Stunden davon hat, greift öfter zu ungesunden Leckereien und nimmt im Regelfall 600 Kalorien am Tag mehr zu sich als andere. Wissenschaftler vermuten da einen Zusammenhang mit den Gehirnaktivitäten durch längere Wachzeiten.
Doch der Immunologe Elinav, eine Kapazität auf dem Fachgebiet Darmflora, verfolgt einen anderen Ansatz und sieht eher die Auswirkungen von unregelmäßigem Schlaf auf die Darmbakterien als Ursache. »Die innere Uhr gerät einfach durcheinander.« Wie jemand, der gerade einen Interkontinentalflug hinter sich hat, leiden auch die vielen Milliarden dieser kleinen Organismen, die unser Körper beheimatet, dann unter einem Jetlag.
Mäuse Das Forscherteam in Rehovot nahm deshalb die Darmbakterien von Mäusen genauer unter die Lupe und untersuchte, wie sich ihre Zusammensetzung über längere Zeitabschnitte hinweg verändert. Um zu zeigen, was alles passiert, wenn ihr Tagesrhythmus durcheinander gewirbelt wird, bestrahlte man die kleinen Nager nachts phasenweise mit starkem Licht und sorgte auch sonst für reichlich Schlafunterbrechungen. Sofort veränderte sich ihr Fressverhalten, die Mäuse mit künstlich erzeugtem Jetlag futterten nun nicht mehr zu ihren gewohnten Zeiten, sondern wild durcheinander zu jeder Stunde. »Damit gerieten auch die Darmbakterien aus dem Takt.« Die Tiere legten bei fetthaltiger Nahrung sofort an Gewicht zu und entwickelten Stoffwechselstörungen; bei solchen mit geregelter und ungestörter Nachtruhe war das nicht so schnell der Fall.
Um ihre These zu untermauern, übertrugen die Wissenschaftler Teile der Darmflora der derart gestressten Mäuse auf die von entspannten. Und siehe da: Auch diese wurden sofort dicker und wiesen erhöhte Blutzuckerwerte auf.
In einem nächsten Schritt untersuchten die Forscher Stuhlproben von mehreren Personen, die gerade einen Flug aus den Vereinigten Staaten nach Israel hinter sich hatten und unter dem allseits bekannten Jetlag-Phänomen litten. Eine Probe wurde kurz vor dem Start genommen, eine weitere einen Tag nach der Ankunft in Tel Aviv. Sofort zeigte sich im Verdauungsapparat ein erhöhtes Aufkommen von genau jenen Bakterienstämmen, die im Verdacht stehen, mit Adipositas im Zusammenhang zu stehen.
Jetlag Daraufhin übertrug man gesunden und gut ausgeruhten Mäusen Bakterien aus der Darmflora dieser menschlichen Probanden. Und auch die Versuchstiere nahmen sofort zu und hatten einen erhöhten Blutzuckerspiegel. Die Stuhlproben der Menschen zeigten zwei Wochen später keine Auffälligkeiten mehr. »Für die Reisenden stellt der Jetlag eine Ausnahmesituation dar«, kommentiert Elinav die Resultate. »Schichtarbeiter aber sind über viele Jahre hinweg einem sich immer wieder verändernden Tagesrhythmus ausgesetzt.«
Leider sind wechselnde Arbeitszeiten in vielen Berufen unabdingbar. Elinavs Ziel lautet daher: »Wir müssen einen Ansatz entwickeln, die Darmbakterien bei Menschen mit einem derartigen Lebensstil so zu beeinflussen, dass sie nicht aus dem Takt geraten. Auf diese Weise kann man einen Beitrag zur Vermeidung von Adipositas und Diabetes Typ 2 leisten.« Probiotische oder antimikrobielle Therapien bieten sich an.
Die Forscher vom Weizmann-Institut betonen, dass die Ergebnisse ihrer Studie aufgrund der geringen Zahl an Versuchspersonen nur als vorläufig zu betrachten sind. »Für mich als Mikrobiologen ist es erst einmal nicht erstaunlich, dass sich die Darmflora in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme ändert«, kommentiert Michael Blaut, Leiter der Abteilung Gastrointestinale Mikrobiologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam, die Erkenntnisse aus Israel. Dennoch sind sie für ihn interessant: »Weil sie überzeugende Argumente dafür liefern, dass ein Organismus auch in seiner Mikroflora gespiegelt wird.«