Als die Dienstmagd Rebekka in Gustav Freytags Roman Soll und Haben von 1855 zum Ich-Erzähler meint »Ich habe keine Zeit, mich mit Euch abzugeben, ich muss die Herren bedienen ...«, entspinnt sich dieser Dialog: »›Sie sind wohl recht artig, die Herren, du hübsches Schicksel‹, sagte ich …. ›Ihr seid selbst ein hässlicher Schekez‹, sagte das Mädchen und lachte mich an, ›macht, dass Ihr fortkommt.‹«
»Kriechtier« »Schickse(l)« und »Schekez« haben eine bunte Wortgeschichte. Das Substantiv »schéqes« ist seit dem biblischen Hebräisch belegt, in der Bedeutung »Gräuel vor Unreinem« (wörtlich 1. Buch Mose 3 »Kriechtier«). Im Jiddischen steht »Schejgez/Schegez/ Schekez« (Plural: Schkózim) für den nichtjüdischen jungen Mann, im Wörterverzeichnis Sem und Japheth (Leipzig 1882) auch für »nichtjüdischer Knecht/Dienstbote«. Leo Rosten (Jiddisch, 2002) nennt als erweiterten Wortsinn unter anderem »besonders schlauer oder unverschämter Bursche (ob Jude oder Nichtjude)«, »arroganter Schnösel« und »Bursche ohne Ehrgeiz«: »Ja, soll denn ein Schejgez aus dir werden?«
Die, verglichen mit dem männlichen Schekez, geläufigere weibliche »Schickse« geht auf das Femininum »schiqesa« (neuhebräisch »schiktso« = die Unreine) zurück, das erst in nachantiker Zeit gebildet wurde. Es bezeichnete, wie später das jiddische »Schickse/Schiggse«, zunächst ein nichtjüdisches Mädchen oder Dienstmädchen. Thomas Meyers kontrovers diskutierter Debütroman Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse (2012) beispielsweise erzählt von einem jungen Mann aus dem Zürcher jüdisch-orthodoxen Umfeld, der sich in eine nichtjüdische Frau verliebt.
leichtes mädchen Erst im Lauf der Zeit wurde die Schickse, wie Menachem Kaiser 2013 in der L.A. Review of Books nachzeichnete, semantisch zuweilen pejorativ ausgeweitet zum leichten Mädchen oder Flittchen. In Herr Wendriner erzieht seine Kinder (1925) etwa lamentiert Tucholskys fiktiver deutsch-jüdischer Spießer: »Was meinen Sie, was der Junge macht? Er fängt sich was mit einer Schickse an aus einem Lokal; ‹nem Büfettfräulein, was weiß ich! – Mit dieser Schickse geht er los! Natürlich kostet das ‹n Heidengeld, können Sie sich denken.«
Reinhold Aman definiert »Schickse«/ »Schicksl« in seinem Bayrisch-Österreichischen Schimpfwörterbuch (2005) mit dem Spruch »Du Schicks, du zammbeade (= verlebte)!« als »liederliche, sittenlose, unzüchtige Frau«. In der Süddeutschen Zeitung erklärte jüngst Hans Kratzer, »dass Frauen, die sich nach dem Krieg mit US-Besatzungssoldaten einließen, häufig als Ami-Schicksn tituliert wurden«. In Niederbayern hieße noch heute »ein Mädchen, das einen Kraftfahrer als Freund hat und ihn bei seinen Fahrten begleitet, eine Lastwagen- oder eine Karrenschicks«.
Seinfeld In der Schreibweise »shiksa« wird das Wort in den USA heute in der Regel unbelastet benutzt. Dafür stehen Buchtitel wie Boy Vey!: The Shiksa’s Guide to Dating Jewish Men. Eine Episode der TV-Comedyserie Seinfeld befasste sich mit dem »shiksa appeal« von Jerrys Freundin Elaine. Auch hierzulande ist der Begriff inzwischen nicht mehr nur negativ besetzt: Stolz nennt sich ein weiblicher Fanklub von Borussia Dortmund »Die BVB-Schicksen«.
Landläufig nannte man früher oft auch jüdische Mädchen »Schicksel«. So schrieb Wilhelm Hauff in seinen Mitteilungen aus den Memoiren des Satan (1826): »Das Schickselchen, die Kalle, ich meine Rebekka, des Juden Tochter, war nicht übel.« Böswillig-dümmlich sprach 1937 eine Bildunterschrift im NS-Hetzblatt »Der Stürmer« von »giftspeienden hysterischen Judenschicksen auf einer Judentagung in Zürich«.