Allein seine Hände - mit ihnen konnte Marcel Marceau (1923-2007) eine neue Welt erschaffen. Mittels seiner Bewegungen erhob sich plötzlich eine Schar von Vögel in den Himmel oder ein Schwarm von Fischen schwamm durchs Meer. Gottes Erschaffung der Welt bis zum Sündenfall brachte er auf diese Weise auf die Bühne. Dort brauchte der Künstler keine technischen Effekte, nicht einmal Requisiten. Es reichte sein Körper, um Geschichten zu erzählen. Dieser »Star der Stille« schaffte es, die Menschen weltweit mit seiner Kunst zu berühren. Die Pantomime sei wie Musik und Tanz eine universelle Sprache, war der Franzose überzeugt.
Am 22. März 1923 wurde Marcel Mangel in Straßburg geboren, als Sohn eines jüdischen Metzgers. Schon früh begeisterte er sich für die Stummfilmgrößen Charly Chaplin oder Buster Keaton und imitierte sie. Schauspieler wollte er werden, doch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs durchkreuzte den Plan. Die Familie musste fliehen, der Vater wurde denunziert, von der Gestapo verhaftet und in Auschwitz ermordet. Sein Sohn schloss sich in Frankreich dem Widerstand an und nannte sich fortan »Marcel Marceau«.
Umjubelt Nach Ende des Kriegs studierte Marceau bei Charles Dullin an dessen Schule der Dramatischen Kunst in Paris und traf dort den gefeierten Mimen Jean Louis Barrault. Dieser gab ihm 1946 seine erste große Chance mit der begehrten Rolle des Harlekin in der Aufführung »Baptiste«. Seine Interpretation wurde so umjubelt, dass er sich an sein erstes eigenes Mimodrama heranwagte. Schon ein Jahr später entwickelte Marceau die Figur des »Monsieur Bip«. Dieser Charakter erinnert, bekleidet mit weißer Hose, blauer Weste, Ringelshirt und Knautschhut samt roter Blume an Chaplins »Little Tramp«.
»Humorvoll, traurig, wunderbar, töricht, klug, ironisch«, ist laut Programmheft dieser Bip. Marceau ließ das Publikum an dessen Abenteuern und Missgeschicken teilhaben. Über 40 Stücke entwarf er. Einmal ist Bip Dompteur, der mühselig seinen Tieren zeigen muss, wie sie durch Reifen springen sollen. Ein anderes Mal jagt er einem Schmetterling nach oder spielt den Kampf zwischen David und Goliath nach; Bip versucht sich als Straßenkünstler und Babysitter oder träumt Don Juan zu sein. Selbst das Soldatenleben bleibt ihm nicht erspart. Bip ist ein Spiegelbild des menschlichen Lebens. Marceaus Kunst kam ohne Worte aus und steckte trotzdem an.
Mit der Gründung der Compagnie de Mime 1949 belebte der Künstler eine theatralische Besonderheit, die als einmalig im zeitgenössischen Drama bezeichnet werden kann. Dabei orientierte er sich an römischen und griechischen antiken Schauspielgruppen, die stumme Gesten zur Kunst machten. Nicht nur mit seiner Compagnie, sondern vor allem auch als Einzelkünstler wurde Marceau über die Jahre berühmt. Mehrmals bereiste er alle fünf Kontinente. Dabei erlebt er wie die Leute immer wieder, egal, welcher Nation sie angehörten, an den komischen Stellen lachten oder bei traurigen Momenten mitfühlten.
Seele Nie wollte Marceau nur unterhalten. Stets betonte er sein Ziel, mit seiner Kunst die Seele des Menschen zu erreichen. Stille erschien ihm dafür das angemessene Mittel. Auch ein Schriftsteller, ein Maler oder ein Athlet brauche schließlich einen Moment des ruhigen Innehaltens, um ans Werk oder in den Wettkampf zu gehen. Bis ins hohe Alter hielt sich Marceau körperlich fit. Er malte, gab ein Bilderbuch über Bip heraus, vor allem aber lehrte er in der 1978 in Paris gegründeten Schule, die seinen Namen trägt, alles rund um die Pantomime.
Mit seiner Kunst und seiner Haltung verstand sich Marceau auch als Versöhner. Obwohl sein Vater von den Nazis ermordet wurde, trat er schon gleich nach dem Krieg auch in Deutschland auf. »Hass ist mir unbekannt, ich habe ihn nicht gespürt. Der Feind muss ein Freund werden, davon bin ich überzeugt«, sagte er einmal der »Süddeutschen Zeitung«. Marceau starb 2007 im Alter von 84 Jahren. Beerdigt ist er auf dem Pariser Prominentenfriedhof Pere Lachaise.