Eine Genisa ist ein Raum im Verborgenen. Er wird zur Aufbewahrung abgenutzter, verbrauchter jüdischer Schriften, aber häufig auch Gegenstände genutzt, von denen in irgendeiner Weise eine Verbindung zu G’ttes Name hergestellt werden kann.
Schriften wie Gegenstände gilt es trotz ihrer Gebrauchsspuren oder gar Unbrauchbarkeit zu erhalten. Es ist dieser »Ermessensspielraum« – aufbewahren oder nicht? –, der jede Genisa zu etwas Besonderem werden lässt. Und doch ist sie im Grunde eben auch ein sehr praktischer, ritueller »Hohlraum«, der seinen festen Platz im religiösen jüdischen Leben hat und der sich unter anderem aus der Mischna herleiten lässt.
»Abgelegt wird, seit es die Tora gibt«, sagt Martina Edelmann. Sie leitet das Jüdische Kulturmuseum im unterfränkischen Veitshöchheim, das sich in der ehemaligen, etwa 1727 erbauten Landsynagoge befindet. Zu verdanken ist dessen Existenz dem Überraschungsfund einer Genisa im Dachstuhl. Eine »kleine Sensation«, die sich 1986 bei den notwendigen Renovierungsarbeiten ereignet hat.
Spurensuche Die Genisa-Forschung in Bayern, sie ist zum Spezialgebiet von Martina Edelmann geworden. In ihrem Vortrag »Verborgene Schätze«, den sie an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gehalten hat, gab sie darüber so anschaulich wie kompakt Auskunft. Ihr Vortrag war Teil der Reihe »Spurensuche – Jüdisches Erbe in Bayern«, initiiert von der »Ad hoc-Arbeitsgruppe – Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart«. Unter der Leitung von Historiker Michael Brenner und Archäologe Bernd Päffgen beschäftigt sich diese seit Herbst 2021 mit »Zeugnissen jüdischen Lebens heute wie damals«.
1938 hatten die Nazis die Übergabe der Veitshöchheimer Synagoge an die Gemeinde Veitshöchheim erzwungen, 1940, als dann die örtliche Feuerwehr ins Haus einzog, wurden Räumlichkeiten und Inneneinrichtung zerstört. In Veitshöchheim, einem Ort, der heute etwa 10.000 Einwohner zählt, gab es keine Synagoge mehr.
Die Tradition sieht vor, Schriften wie Gegenstände einer Genisa auf einem jüdischen Friedhof zu beerdigen.
Edelmann erinnert sich sehr genau an die aufwendigen Renovierungsarbeiten Mitte, Ende der 80er-Jahre, besonders als es dann an den Dachboden ging: »Was da rausgeräumt wurde, waren bergeweise Papierreste, kleinste Fitzelchen, aber auch erkennbare Schriftwerke, dazwischen Gegenstände. Dass es sich nicht nur um Schutt handelte, sei schnell klar gewesen. »Wir haben erst einmal alles vorsichtig in Kartons abgestellt«, berichtet sie.
Die Veitshöchheimer Genisa zählt zu einer der umfangreichsten im deutschsprachigen Raum. Als passender Raum für einen solchen Fund konnte das Jüdische Kulturmuseum Veitshöchheim 1994 eingeweiht werden. »Gezeigt wird da natürlich längst nicht alles«, sagt Edelmann, fügt aber hinzu, dass nichts weggeworfen worden sei und auch kleinste Schnipsel Aufbewahrung gefunden hätten. »Religiöses Ziel ist es, dass von den Schriften und Gegenständen nichts vernichtet wird, das bedeutet, dass sie im Grunde auch wiederverwendet werden könnten«, erklärt Edelmann.
recherche Was in Veitshöchheim folgte, war Kleinst-arbeit und viel Recherche, Forschung, auch in Kontakt mit »der jüdischen Seite«. 1998 gab Edelmann dem Unterfangen schließlich einen Namen. Das »Projekt Genisa« gilt seither als Anlaufstelle für Genisa-Funde im süddeutschen Raum. »Wird in Bayern eine Synagoge renoviert, kann ich mit einem Anruf rechnen«, sagt Edelmann. Am Ende, so sieht es die Tradition vor, sind Schriften wie Gegenstände einer Genisa auf einem jüdischen Friedhof zu beerdigen. Dass dem gerade in Landgemeinden häufig nicht nachgekommen worden sei, habe auch damit zu tun, »dass sich die jüdischen Friedhöfe oft weit außerhalb befanden, und das machte die Sache nicht einfach«.
Martina Edelmann und ihr kleines Team werden in Veitshöchheim weiterhin akribisch sichten, registrieren und dokumentieren. Neben religiösen wie weltlichen Schriften, meistens auf Hebräisch oder Jiddisch verfasst, gilt es, auch den Alltagszettelchen, die »sicherheitshalber oder zufällig in der Genisa« landeten, Beachtung zu schenken. Von Rechnungen, Einkaufslisten, Lotteriescheinen bis hin zum Rezept – alles wird aufbewahrt. Dazu kommen noch die Gegenstände: Gebetsriemen, Kinderschuhe, Kippot, Mesusot. Es sind Schätze eines vergangenen jüdischen Alltags.