Sprachgeschichte(n)

Schachern

»Den Preis drücken«: Flohmarkt in Berlin Foto: imago/ZUMA Press

Der »Tagesspiegel« betitelte vor geraumer Zeit einen Bericht über die Humboldt-Universität mit »Ämtergeschacher in studentischen Gremien«. In ihrem Artikel über den FIFA-Chef Gianni Infantino und seine geplante Reform der Klub-WM konstatierte die »Berliner Zeitung«: »Noch läuft hinter den Kulissen das letzte Schachern der Fußball-Funktionäre um Formate und Details.«

Und über die Russland-Recherchen des Sonderermittlers Robert Mueller gegen den US-Präsidenten schrieb dieselbe Zeitung: »Hinter den Kulissen schachern Trumps Anwälte seit Wochen um die Konditionen.« Für die Tageszeitung »Die Welt« war die Brexit-Debatte ein »Schachern um EU-Finanzen«.

varianten Das Verb (mit den Varianten »ab-«, »er-« und »verschachern«) sowie das deverbative Subs­tantiv »Schacher(n)« begegnen uns (neben Bildungen wie »Geschacher«, »Schacherer« und »Schacherei«) in literarischen und politischen Texten, heute sogar im Drogenmilieu.

Schiller ließ Franz Moor (1781 in Die Räuber 1,1) sagen: »Ehrlicher Name! – wahrhaftig eine reichhaltige Münze, mit der sich meisterlich schachern lässt, wer’s versteht, sie gut auszugeben.« In Nietzsches Also sprach Zarathustra (1883ff.) heißt es: »Und den Herrschenden wandt’ ich den Rücken, als ich sah, was sie jetzt Herrschen nennen: schachern und markten um Macht – mit dem Gesindel!«

Die Bedeutung des Verbs zeigt sich unter anderem an den Synonymen »feilschen«, »herunterhandeln«, »den Preis drücken«, »günstig verhökern«.

Die Bedeutung des Verbs, das das mit ihm Bezeichnete implizit abwertet, zeigt sich unter anderem an den Synonymen »feilschen«, »herunterhandeln«, »den Preis drücken«, »günstig verhökern«. Das Substantiv umschreibt das auf Vorteil bedachte Vereinbaren von geschäftlichen Abmachungen. Ein früher Verb-Beleg – schon mit negativem Anklang – findet sich 1613 in Martin Rinckharts Reformationsspiel Der Eißlebische christliche Ritter.

offerte Darin macht ein Jude namens Michael die Offerte: »Ja wenn du mit mir zschachern wolt,/Ich hab da was von gutem Gold«, die er auf Nachfrage des Schusters Kühlogista (»Laß seh’n komm her, was hastu denn?«) erklärt: »Ein gülden Ringlein oder zween.« Bezeugt sind seit dem 17. Jahrhundert das rotwelsche »socher« (»umherziehender Kaufmann«) und das westjiddische »sakhern« (»Handel treiben«), die auf die hebräische Wurzel »shr« (»handeln« beziehungsweise »Erwerb, Gewinn«) zurückgehen.

Bezüglich des Reibelauts am Wortbeginn präzisiert Hans Peter Althaus in Chuzpe, Schmus & Tacheles (2015): »Schacher ist die christliche Lautform des jüdischen Ausdrucks Sacher, Socher, Saucher. Dass das jiddische Wort mit einem stimmlosen ›s‹ gesprochen wurde und nicht mit einem stimmhaften, wie es der deutschen Sprache entspräche, nahmen die Deutschen als fremdartig wahr und ahmten es mit stimmlosem ›sch‹ nach.«

Die Zürcher GRA-Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus definiert auf ihrer Webseite mit »belasteten Begriffen« das Lexem »mauscheln« als »wie ein Schacherjude handeln«. Judäophobe Sprachmuster wie »Schacher-«, »Wucher-« und »Geldjude« belebte zum Beispiel der Publizist H. K. Lenz (d.i. Wilhelm Heinrich Klenz) – so in Alban Stolz und die Juden: ein zeitgemäßer Beitrag zur Judenfrage für das deutsche Volk (1893), in Der Jude im Handel und Wandel (1894) und im »allen Sprachreinigern gewidmeten« Werk Jüdische Eindringlinge im Wörter- und Citatenschatz der deutschen Sprache (1895), auf das unter anderem Gerd Simon in seinem verdienstvollen Werk Buchfieber. Zur Geschichte des Buches im 3. Reich (2006) kritisch verweist.

Archäologie

Kein Großwild, keine Höhlenmalerei

Wissenschaftler der Universität Tel Aviv geben eine originelle Antwort auf eine alte Frage

von Sabine Brandes  26.01.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Fuchur, Aurin, Taschentuch: Warum Kranksein richtig Spaß macht

von Margalit Edelstein  25.01.2025

Aufgegabelt

Kubaneh

Rezepte und Leckeres

 25.01.2025

27. Januar

Der unbekannte Held von Auschwitz

Der »Berufsverbrecher« Otto Küsel rettete Hunderten das Leben. In Polen ist er ein Held, in Deutschland fast unbekannt. Das will Sebastian Christ mit einem Buch ändern, für das er 20 Jahre lang recherchiert hat

 24.01.2025

Kino

Hoffnung auf mehr »Harry und Sally«

Möglicherweise kehren Meg Ryan und Billy Crystal als Harry und Sally zurück. Zumindest sorgt ein Social-Media-Post derzeit für Glücksgefühle

von Sophie Albers Ben Chamo  24.01.2025

Medien

Michel Friedman ist neuer Herausgeber des »Aufbau«

Die Zeitschrift »Aufbau« erfindet sich mal wieder neu. Diesmal soll Michel Friedman das 90 Jahre alte Blatt modernisieren. Der Journalist und Autor hat viel vor

von Sophie Albers Ben Chamo  23.01.2025

Oscars

»Der Brutalist« und »A Complete Unknown« nominiert

Adrien Brody und Timothée Chalamet sind auch als »Beste Hauptdarsteller« nominiert

 23.01.2025

Kulturkolumne

Sprachnachrichten als Zeitzeugnisse

WhatsApps auf Jiddisch von Regina Steinitz aus Israel

von Maria Ossowski  23.01.2025

Kino

»The Brutalist« - Packendes Filmepos über die Gegenwart der Vergangenheit

In 70mm gedrehtes herausragendes Filmepos über einen dem Holocaust entronnenen Architekten, der in den USA mit einem gigantischen Bauwerk seinen Traumata zu entkommen hofft

von Rüdiger Suchsland  23.01.2025