Klein, fies und unzerstörbar: Kakerlaken, auch als Küchenschaben bekannt, gelten als wahre Überlebenskünstler auf sechs Beinen. Wer ihnen überraschend begegnet, ekelt sich sofort. In Israel lässt es sich kaum vermeiden, ihnen über den Weg zu laufen. Wer einmal barfuß auf eine der Dschukim, wie sie dort genannt werden, getreten ist, wird diesen Augenblick wohl nie wieder vergessen. Das Wort stammt aus dem Russischen, wo es generell für Käfer verwendet wird, und fand über das Jiddische seinen Weg in die hebräische Umgangssprache.
In den Wintermonaten sind die Krabbeltiere nahezu unsichtbar. Nicht so im Sommer. Denn die bis zu fünf Zentimeter großen Kakerlaken mögen es warm und feucht. »Dabei ist es keine Frage der Hygiene, ob die Viecher einen heimsuchen oder nicht«, weiß Deborah Mendel. »Egal wie sauber alles ist, die Dschukim finden ihren Weg durch Abwasserrohre oder Türritzen in die Wohnung«, so die 70-jährige Rentnerin aus Tel Aviv.
resistenz »Natürlich sollte man nie Essensreste offen herumstehen lassen und den Müll ständig raustragen. Das käme sonst einer Einladung gleich«, rät die erfahrene Hausfrau. »Was mir jedoch mittlerweile ein wenig Sorgen bereitet, ist ihre wachsende Resistenz gegen die gängigen Insektenvertilgungsmittel. Die beeindrucken sie oft nur wenig, weshalb ich schon zweimal den Kammerjäger bei mir zu Hause hatte.« Ohne Zweifel – die orientalische Schabe besitzt eine enorme Widerstandsfähigkeit und krabbelte selbst nach Atombombentests auf dem Bikini-Atoll noch munter herum.
Wissenschaftler beobachten noch ganz andere Fähigkeiten, die die kleinen Biester gerade entwickeln. »Je höher die Temperaturen, desto aktiver werden Kakerlaken«, erklärt Frederic Libersat, Neurobiologe an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva und Dschukim-Experte, der sich seit Jahren mit dem Verhalten dieser Insekten beschäftigt. »Bei zehn Grad Celsius bewegen sie sich gar nicht oder nur sehr langsam. Bei 25 oder 30 Grad werden sie munter und fangen an zu laufen.
Sind es aber 40 Grad, dann rennen sie nicht einfach mehr herum, sondern beginnen zu fliegen. Sie werden geradezu hyperaktiv.« Weil Israel diesen Sommer neue Hitzerekorde verzeichnen konnte, stieg nicht nur das Quecksilber im Thermometer nach oben, sondern ebenfalls die sonst eher bodenständigen Krabbeltiere. Plötzlich tauchten Kakerlaken im vierten oder fünften Stock von modernen Hochhäusern auf. Via Balkone, Terrassen und offene Fenster flogen sie in die Wohnungen, was manche Israelis irritierte. Denn normalerweise finden sich die Viecher eher im Parterre oder den unteren Geschossen, die sie durch das Treppenhaus oder Abwasserrohre erreichen.
temperaturen »Die Ökosysteme reagieren auf die Veränderungen des Klimas«, erklärt Yoav Yair, Dekan der School of Sustainability am Interdisciplinary Center in Herzliya. »Viele Lebewesen reagieren aufgrund ihrer Basisreflexe auf die leichtesten Schwankungen bei den Temperaturgraden.« Genau deshalb werden sich in Zukunft die Meldungen über ungewöhnliches Verhalten von Fischen, Tieren oder Insekten häufen, ist der Wissenschaftler überzeugt.
Das Phänomen der fliegenden Kakerlaken wurde jüngst auch in New York verstärkt beobachtet. In der Hitze des Sommers war es nicht nur der Gestank von nicht abgeholtem Müll, der in der Luft lag. Auch die Kakerlaken schwirrten darin herum. »Mit jedem Grad mehr haben sie zusätzliche Power«, sagt Louis Sorkin vom American Museum of Natural History und verweist auf die Klimaerwärmung als Faktor.
Einmal abgehoben, bewegen sie sich aber anders als die meisten Insekten. »Sie gleiten eher, weil das Fliegen nicht mehr wirklich zu ihren Verhaltensmustern zählt.« Zumindest in Städten wie New York oder Tel Aviv, denn dort liegt ihr Futter quasi auf der Straße, weshalb die Flügel an Bedeutung verloren haben. »Man kann das mit Hühnern vergleichen, die ebenfalls ihre Fähigkeit zu fliegen im Laufe der Evolution verloren haben.« In ländlichen Regionen, vor allem in den südlichen Bundesstaaten Florida und Texas, haben die Kakerlaken ihre Flugtüchtigkeit dagegen noch nicht verlernt. »Dort ist es für sie überlebenswichtig.«
parasiten Zudem haben sie noch andere Tricks auf Lager: Ohne Kopf können Kakerlaken neun Tage weiterleben. Dann verhungern sie, weil ihnen der Mund fehlt, um Flüssigkeit oder Nahrung aufzunehmen. Auch lassen sich die Krabbeltiere nicht einfach ertränken, weil sie ihre Atemlöcher verschließen und stundenlang unter Wasser verbleiben können. Und wird es plötzlich sehr trocken, vermögen es die Dschukim, ihre Atemfrequenz herunterzufahren, sodass sie weniger Flüssigkeit verlieren.
Was aber bis dato relativ unbekannt war: Kakerlaken verbreiten nicht nur pathogene Keime und Parasiten oder lösen durch ihren Kot und Speichel bei Menschen Allergien und Asthma aus. Sie selbst gehören zu den Klimakillern. Innerhalb eines Jahres produzieren sie bis zu 35 Gramm Methan, was dem 43-Fachen ihres eigenen Gewichts entspricht. Kein anderes Lebewesen auf der Erde vermag in Relation zu seiner Körpermasse derart viel von dem schädlichen Treibhausgas zu emittieren.