Popkultur

Satanische Verse

Der 49-jährige Naidoo hat sich in jüngster Zeit immer stärker radikalisiert Foto: Getty Images

Die Sache war ihm wichtig. Die Sache war ihm so wichtig, dass er sie nun endgültig geklärt haben wollte. Was wurde in den vergangenen Jahren nicht alles über ihn geschrieben? Was hat man ihm nicht alles angelastet? Xavier Naidoo, der wohl erfolgreichste Soulsänger Deutschlands, soll die Nähe zu Reichsbürgern gepflegt haben.

Man unterstellte ihm Homophobie, man unterstellte ihm Rassismus. Aber als eine Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung ihn einen Antisemiten nannte, da reichte es Naidoo. Er zog vor Gericht. Er ein Antisemit? Niemals. Letzte Woche wurde ihm Recht zugesprochen. Zumindest teilweise.

»Totschild« Man dürfe Xavier Naidoo nicht mehr als Antisemiten bezeichnen, heißt es in dem Urteil des Landgerichts Regensburg. Denn von umstrittenen Textzeilen auf seine persönliche politische Einstellung zu schließen, sei nicht legitim. Kunst ist Kunst. Mensch ist Mensch. Es gelte das Recht der Kunstfreiheit.

Wer sich mit Werk und Person von Naidoo auseinandersetzt, dem dürfte das vehemente Vorgehen gegen das Stigma des Antisemitismus kaum verwundern. Man muss Xavier Naidoo abnehmen, dass er tatsächlich denkt, kein Antisemit zu sein. Auch wenn einige Songzeilen (er singt da von »Baron Totschild« und vermeintlichen »Puppenspielern«) diesen Schluss durchaus nahelegen könnten.

Xavier Naidoo ist kein Einzelfall. Auch der Rapper Kollegah wehrte sich vehement gegen Antisemitismusvorwürfe, nachdem er in seinem Video zu »Apokalypse« den Teufel einen Ring mit Davidstern hat tragen lassen und darüber fantasierte, dass nach der finalen Schlacht zwischen Gut und Böse die verbliebenen Menschen die Welt neu aufbauen würden. Christen. Muslime. Buddhisten. Nur die Juden waren plötzlich nicht mehr dabei. Auch Kollegah betont, dass er mit dem Video in keiner Form zum Hass gegen Juden aufrufen wollte. Mensch sei schließlich Mensch.

Marionetten Naidoo und Kollegah sind nur die Spitze des Eisbergs. In der Popkultur lassen sich zahlreiche weitere Beispiele finden. Musiker, die vehement abstreiten würden, Antisemiten zu sein. Musiker, die aber bestimmte Chiffren verwenden, die einen antisemitischen Beiklang haben. Politiker als Marionetten. Eine New World Order. Rothschild und Bilderberger. Chemtrails und Pizzagate.

Der Mainstream nimmt all diese Begriffe wahr und stempelt sie als Spinnereien ab. Aber die dahinterstehenden Verschwörungstheorien finden über die Popkultur immer mehr Eingang in das kollektive Bewusstsein. Chiffren, die nicht bloß für sich stehen. Chiffren, die einem in sich geschlossenen Weltbild folgen. Einem Weltbild, das besonders gefährlich ist, weil es auf den ersten Blick eben nicht antisemitisch erscheint.

Der Schlüssel zum Verständnis all dieser Begriffe ist die Theorie des niederländischen Verschwörungstheoretikers Robin de Ruyter. De Ruyter hat sie in seinem Hauptwerk Die 13 satanischen Blutlinien zusammengetragen. Dort beschreibt er zunächst eine genealogische Entdeckung. Alle wichtigen Präsidenten, alle Monarchen und Machthaber der jüngeren und älteren Geschichte würden in einem mehr oder weniger direkten Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen. So sei etwa die Bush-Familie über mehrere Ecken mit Edward I. oder Pocahontas (!) verwandt.

Weltverschwörung Wahrscheinlich ist das sogar richtig. De Ruyter unterschlägt nur, dass sich diese indirekten Verwandtschaftsverhältnisse über viele Generationen hinweg nicht nur bei den Reichen und Mächtigen nachweisen lassen, sondern bei so ziemlich jedem Menschen. Ungeachtet dessen fantasiert er die Tradition von 13 Familien herbei, die mitsamt ihrer Verwandtschaft die Schaltpositionen der Macht besetzen. Das besondere an ihnen: Sie sind, laut de Ruyter, Teil einer satanischen Weltverschwörung.

Die Mitglieder dieser 13 Familien, die ihren eigenen Nachwuchs über psychische Folter »programmieren«, treffen sich auf den großen Treffen der Reichen und Mächtigen. Dort besprechen sie, wie sie das große Ziel umsetzen können: die geplante New World Order. Um die groben Umrisse zu definieren, findet alle 28 Jahre das »Bankett des Teufels« statt, wo sich die Köpfe der 13 Blutlinien treffen.

Auch Satan persönlich erscheint angeblich zu diesem Anlass und gibt die Pläne für die nächsten Jahre vor. Satan will einen Dritten Weltkrieg herbeiführen, der die Menschheit ins Chaos stürzt und seine Herrschaft herbeiruft. Um das große Ziel zu erreichen, müssten Teilschritte gemacht werden. Etwa die Menschheit zu dezimieren. Zudem müsse man zur Stärkung des Teufels Blutopfer bringen.

Protokolle Erst am Rande wird erwähnt: Die meisten der 13 Familien sind jüdisch. Die Rothschilds etwa. Die Quellen die de Ruyter aufführt? Neben den »Insidern« auch Standardwerke antisemitischer Propaganda wie Die Protokolle der Weisen von Zion. Das perfide an dieser Verschwörungstheorie ist: Sie vermitteln den Judenhass beiläufig, er wird unter einer größeren Erzählung versteckt.

Man habe ja nichts gegen die Juden, bloß gegen die »Neue Weltordnung«, verteidigen sich die Anhänger dieser Theorie, die man als Blaupause über die Songs von Naidoo und Kollegah legen kann. Man wird sie plötzlich in einem anderen Licht sehen. Man könnte das eigentlich belächeln.

Man könnte sich aber auch die Abozahlen der großen YouTube-Kanäle anschauen, die diese Theorien weitertragen (bis zu 70.000 Follower). Oder die Plattenverkäufe von Naidoo und Kollegah (die in die Millionen gehen) und sich fragen, ob man vielleicht doch künftig mehr auf Aufklärung statt auf Weglächeln setzen sollte.

Der Autor ist Redakteur bei der »WELT« und Co-Autor des Buches »Yellow Bar Mitzvah« des Rappers Sun Diego.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025