Ziegen rennen auf einem Weg entlang, während menschliches Lachen aus einer unbekannten Quelle ertönt. Ein Insekt klettert eine Wand hoch, und Flüchtlinge kommen an einer Unterkunft an. Dann ist plötzlich eine Stadtkulisse zu sehen, bevor verschwommene Nachtbilder in brutalen Schnitten folgen. Ein Fluss frisst sich durch einen Berg. Eine Stimme sagt Dutzende Male das Wort »Grey« (Grau), bevor eine wie die Marsoberfläche aussehende Landschaft erscheint.
Abstrakte Kunst in Form einer Videoinstallation, 28 Minuten lang, bietet die Französin Maya Schweizer, die in Aix-en-Provence, Leipzig und Berlin Kunst und Kunstgeschichte studiert hat und seit zwei Jahrzehnten in der deutschen Hauptstadt lebt.
Eröffnung Vergangene Woche erhielt sie für ihr unkonventionelles, experimentelles Werk »Sans histoire« den Dagesh-Kunstpreis im Rahmen der Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung im Libeskind-Bau des Jüdischen Museums Berlin. Die Schau enthält neben dem Hauptwerk drei weitere experimentelle Videoinstallationen.
Der seit 2018 verliehene Preis soll »künstlerischen jüdischen Gegenwartspositionen neue und vielfältige Sichtbarkeit verleihen«, die sich »mit den Problemen der Gegenwart und Fragen des Zusammenlebens auseinandersetzen«, so das Jüdische Museum.
Die Künstlerin setze der in der Ausschreibung gestellten Frage »Was jetzt? Von Dystopien zu Utopien« ein offenes »Ohne Geschichte« entgegen, heißt es in der Begründung für die Preisgabe an Maya Schweizer. In ihrer Videoarbeit spitze sie »ihr Gedankenexperiment eines Bewusstseins ohne Geschichte zu: Was passiert, wenn Erinnerung vor historischen Umwälzungen, vor der Klimakatastrophe oder letztlich der Endlichkeit menschlicher Existenz verblasst? Wirkt sich die Vergangenheit noch auf die Zukunft aus? Wird eine gemeinschaftlich einsetzende Amnesie durch ein digitales Einspeichern aufgehalten oder gefördert? In einem Wechsel von Dystopien und Utopien, von bedrohlichen und befreienden Impulsen erkundet die Künstlerin trans- und posthumane Szenarien«.
interpretationen Ob Interpretationen zutreffen, weiß meist nur die Person, die ein Kunstwerk erschafft. Aber Maya Schweizer ist an diesem Punkt so unkonventionell wie ihr Werk: Sie überlässt es der Betrachterin und dem Betrachter, aus der Videoinstallation herauszulesen, was sie oder er will: »Ich habe mich gefragt, welche Beziehung zwischen mentalen Bildern und Filmbildern besteht, ob der Film letztlich sein eigenes Unbewusstes und uns eine neue Welt zeigen kann«, erklärt sie.
»Ich lege nicht fest, wie die Bilder zu lesen sind.« Die Betrachter sollen »viel Freiheit zur Interpretation, zum Denken haben. Ich möchte, dass sie zwischen Gedanken navigieren und zwischen Bildern lesen«. im
Die Ausstellung »Sans histoire« ist bis zum 27. August in der Eric F. Ross Galerie im Libeskind-Bau des Jüdischen Museums Berlin zu sehen, täglich von 10 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.