Eine Frau begegnet in Rom auf einer Friedenskonferenz einem Mann – er kommt aus dem gleichen Land wie sie. Sie gehen miteinander aus, sitzen in Cafés zusammen, reden, kommen sich näher. Dann, zurückgekehrt, besucht er sie auch zu Hause.
Aber es wird keine Liebesgeschichte zwischen den beiden, nicht einmal eine normale Geschichte: »Es ist das erste Mal, dass ich bei einem Juden zu Hause bin«, sagt er. Bisher hatte es stets irgendwelche Hindernisse gegeben: »Die Großmutter hat die Schoa überlebt, und ich könnte sie erschrecken, der Bruder ist Siedler, und ich könnte die Stimmung verderben, und jeder hat einen Sohn beim Nachrichtendienst, oder wenigstens einen, der zum Nachrichtendienst will, wenn er groß ist, dessen Sicherheitsbeurteilung ich verderben könnte.«
gräben Nadim heißt der Mann. Er und die Ich-Erzählerin leben im gleichen Land, in Israel, aber es ist nicht dasselbe Leben und nicht dasselbe Land. Sie ist Jüdin, ihre Mutter kommt aus Polen, ist nach der Schoa hierhin geflüchtet. Nadim ist Araber, und wenn er 180 Tage außer Landes ist, verliert er seinen Pass, seine Rechte und seinen Besitz. Das ist ein Gesetz, das die Israelis sich ausgedacht haben, als Nadim gerade in Italien studierte.
Ihr Leben ist so unterschiedlich, so ungleich, dass die Ich-Erzählerin erst nach und nach versteht, wie es Nadim in ihrem Land, das auch seines ist, geht. Wie er lebt, was er denkt, was er fühlt. Denn Nadim ist oft verschlossen, macht Andeutungen, verstummt zwischendurch völlig oder verschwindet wochenlang, ohne sich bei ihr zu melden. Eigentlich hatten sie miteinander verabredet, einen Film zu drehen und ein Buch zu schreiben: Er ist Filmemacher, sie Autorin.
Filmförderer Aus dem Film wird nichts. Zwar haben die beiden durch die Friedenskonferenz Kontakte zu europäischen Förderern bekommen, die begeistert von der Idee eines palästinensisch-jüdisch-israelischen Filmprojekts sind. Allerdings haben sie oft eine seltsame Sicht auf Israel.
Wie eine Frau namens Charlotte: »›Für euch Juden ist es ein Glück, dass ihr nicht in Deutschland geblieben seid. Sonst hättet ihr euch assimiliert, ihr hättet Deutsche geheiratet und wärt von der Welt verschwunden. Mit den Arabern wird euch das nicht passieren, mit ihnen werdet ihr euch nicht mischen.‹ Danach wandte sie sich an Nadim und verkündete, es werde ein Tag kommen, an dem er dankbar sei für die Besatzung. ›Jeder braucht jemanden, den er hassen kann, und ohne den Hass auf die Israelis haben die Palästinenser nichts auf ihrer Agenda. Schließlich seid ihr nicht wirklich ein Volk.‹«
vorurteile Lizzie Doron hat mit Who the Fuck Is Kafka wieder einen autobiografisch unterfütterten Roman geschrieben. Namen und Details hat sie geändert, sodass der wahre Nadim nicht erkannt werden kann. Denn mit einer Jüdin befreundet zu sein, birgt Gefahren: Für die Palästinenser sind Landsleute, die mit Israelis zusammenarbeiten oder im Verdacht stehen, es zu tun, schnell Verräter. Und Verräter werden bestraft.
Die Ich-Erzählerin erfährt aber auch, wie vorurteilsbeladen sie selbst und ihre jüdischen Landleute sind. Das seltsame Paar wird misstrauisch beäugt. Die Nachbarn denken, dass er ein Klempner sein muss, wenn er in ihre Wohnung kommt. Nadim erzählt, was es für Araber bedeutet, durch ihre »Heimat« zu fahren. Überall gibt es Straßensperren, sie werden verdächtigt, Terroristen zu sein, müssen stundenlang warten, werden durchsucht. Und Frauen, die in langen Gewändern durch die Stadt gehen, lösen schon mal Panik aus, weil man nie weiß, ob sie darunter nicht Bomben tragen.
Umgekehrt ist sich die Erzählerin Nadims auch nicht sicher. Immer wieder denkt sie, dass er die Schoa nicht versteht, nicht einmal weiß, wer Mengele war. Dass er fragen muss: »Who the fuck is Kafka?« Dass er ihre Ängste nicht begreift: Als ihr Sohn seinen zwölften Geburtstag feierte, wollte er ins Kino, essen gehen und an den Strand.
Intifada Aber es war der Höhepunkt der zweiten Intifada, und im Kino saßen zwei junge Männer hinter ihnen, die Arabisch sprachen. Also flohen Mutter und Sohn in eine Pizzeria. Dort hörten sie im Radio von einer Explosion in einer Pizzeria in Jerusalem und flohen erneut. Und am Strand kam eine Durchsage, dass ein verdächtiger Gegenstand gefunden wurde. Sie flohen zum dritten Mal.
Leider changiert Who the Fuck Is Kafka ein wenig unglücklich zwischen Bericht und Roman. Dabei ist das Buch voller interessanter Szenen, etwa wenn die Erzählerin in einer arabischen Bäckerei trotz Verkleidung als Jüdin erkannt wird. Es erzählt von den vielen Einschränkungen im Alltag, von der in einem Krieg gefallenen Jugendliebe der Erzählerin, von ihrer Freundin, die bei einem Bombenanschlag ermordet wurde. Und immer wieder von ihrem Unverständnis für Nadim, obwohl eine Freundin versucht, ihr seine Situation zu erklären.
Oberfläche Doch wirkt der Roman insgesamt etwas überkonstruiert und in vielen Passagen auch oberflächlich. Die Menschen, abgesehen von den beiden Hauptfiguren, sind entweder ein wenig zu schwarz-weiß gezeichnet oder bleiben zu sehr an der Oberfläche. Etwas nerven auch die kursiv geschriebenen Einschübe, in denen Lizzie Doron kommentiert und andeutet, aber zu sehr im Vagen bleibt.
Die große Stärke des Buchs ist, dass es beide, Nadim und Lizzie, als komplizierte, zerrissene, schwankende, ängstliche, aber dennoch selbstbewusste Menschen schildert und ihre Gefühle und Gedanken, die Zweifel und den Mut vor allem der Ich-Erzählerin packend wiedergibt. So wird der Leser in das komplizierte, zerrissene, schwankende, ängstliche, selbstbewusste Land Israel nicht nur hineingezogen, sondern manchmal regelrecht -geworfen.
Lizzie Doron: »Who the Fuck Is Kafka«. Roman. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. dtv, München 2015, 256 S., 14,90 €