Hanoch Rosenn geht einen ungewöhnlichen Weg – vom Friedhof zum Mond. Speechless heißt seine Show vom 10. Februar bis 4. März im Berliner Tipi am Kanzleramt, übersetzt »Sprachlos«. Rosenn ist Pantomime. Gelernt hat er bei Etienne de Creux und Marcel Marceau, den Meistern dieser Kunst, die er bis heute verehrt. Aber Rosenn ist jünger als seine Lehrer, moderner. »Ich mache keine reine Pantomime mehr wie Marcel Marceau. Ich mache eine richtige Show, mit Licht- und Soundeffekten – nur eben alles ohne Worte.«
weiterentwicklung Auch die Pantomime muss sich der Welt anpassen, sagt Rosenn: »Alles geht weiter.« Der Zuschauer wird Zeuge dieses Anpassungsprozesses. Speechless beschreibt in der Metamorphose eines einzelnen Menschen den Weg der Pantomime. In der ersten Szene taucht Rosenn aus einem Grab auf, Sinnbild für die fast vergessene Kunst der Pantomime, die Rosenn wiederbeleben will. Deren Geschichte folgt er mit Anklängen an den klassischen Stummfilm und an sein Vorbild Charlie Chaplin, – ein augenzwinkernder Tribut an die alten Meister.
Doch dann entführt Rosenn den Zuschauer in geradezu surreal moderne Welten aus LED-Lichtern, Hightech-Projektoren und einem ausgefeilten Soundsystem. Wenn der Israeli durch diesen Mix aus Imagination und Realität rennt, skated und schwimmt, wirkt es gelegentlich, als hätte man Neo aus dem Film Matrix herausgeschnitten und auf die Bühne gestellt. Der Pantomime verschmilzt mit der virtuellen Welt, die er dadurch zu scheinbarer Realität erweckt. In anderen Momenten sind Rosenns Requisiten nur ein Mantel und ein Hut, mit denen er Geschichten erzählt, die den Zuschauer wortlos bei seinen Gefühlen packen.
jiddische mamme Eben darin liegt für Rosenn die große Chance der Pantomime: ohne ein einziges Wort zu sagen, überall auf der Welt verstanden zu werden. Die Pantomime kann Brücken über nationale, kulturelle und religiöse Gräben schlagen, glaubt er. Deshalb spielen für Rosenn seine israelische Herkunft und sein eigener kultureller Hintergrund nur eine untergeordnete Rolle: »Ich bin kein israelischer Botschafter, ich bin ein Künstler mit einer Botschaft des Lebens.«
Die jüdischen Momente der Show sind nur leise und versteckte Anspielungen unterhalb der Oberfläche. Eine dieser Szenen kommt erst ganz am Ende. Rosenn läuft getrieben eine Autobahn entlang. Dabei ertönt die Stimme eines Navigationssystems: Du sollst lernen, Erfolg haben, werde Arzt oder Anwalt, heirate eine schöne Frau ... »Das ist die Jewish Mom, die auf dem Highway of Life hinter dir auf die Lichthupe drückt«, lacht Rosenn.
In einer anderen Szene kommen die Wände unaufhaltsam näher auf den Pantomimen zu. Für Rosenn eine Anspielung »an die jüdische Angst: Verfolger kommen immer näher, es gibt keine Fluchtmöglichkeit, kein Entrinnen – mit dem Rücken zur Wand, doch hinter uns ist nur das Meer«.
Andere Showbestandteile lässt der Pantomime bei seinem deutschen Gastspiel weg, etwa die, in der er auf die biblische Geschichte von Samson und Delilah anspielt. Sie wird in Berlin nicht zu sehen sein: »Ich glaube nicht, dass man das hier versteht.«
preisgekrönt Nicht zu schwergewichtig und bedeutungsschwanger soll das Programm sein. Gegen den traditionellen Ruf der Pantomime als melancholischer Kunst setzt der Israeli auf Leichtigkeit und Heiterkeit: »Meine Show soll den Leuten in erster Linie Freude bereiten, und erst in zweiter Linie sollen sie sich Gedanken machen«. Deshalb hat Rosenn für die Berliner Aufführung auch die Friedhofsszene zu Beginn der Show geändert.« Wenn ich in Israel auftrete, zeigt die Szene jüdische Gräber. In Deutschland nicht. Das Tipi ist kein Platz für ein Mahnmal.«
Rosenn, in London geboren und in Jerusalem aufgewachsen, fand zur Pantomime als jugendlicher Straßenkünstler. Inzwischen gilt er als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Vertreter seiner Kunst. In Israel ist er bereits seit den 80er-Jahren bekannt und hat seitdem diverse Shows, Musicals, Filme und Theaterstücke geschrieben, inszeniert und aufgeführt. Zur Berühmtheit wurde er spätestens mit seiner Rolle als Panto in der israelischen Fernsehsendung Two of the same kind. In den Vereinigten Staaten erhielt er 1985 einen Preis als »Best mime in New York«. 1994 hatte er mit seiner Show Entertainment without Words international Erfolg.
sprachlos Speechless kreierte Rosenn 2009 für das israelische »Festival of Arts«. In die Inszenierung ließ er seine langjährigen Erfahrungen als Regisseur einfließen. In Israel gewann die Show den »Preis für die beste Show« und wurde unter anderem in Costa Rica, Kolumbien, Peru, Chile, Kroatien und Frankreich aufgeführt. Rosenn hat sich von manchen Albereien früherer Produktionen inzwischen frei gemacht, sein Auftritt wirkt erwachsen, dabei trotz aller Perfektion aber leichtfüßig. Speechless ist nicht nur der Titel der Show, sondern auch ihr Ziel. »Ich will die Zuschauer sprachlos machen.«
In der letzten Szene packt Hanoch Rosenn einzelne Requisiten aus jeder Nummer in einen alten Koffer – die Dinge, die einem am Ende bleiben. Den Koffer in der Hand, geht er seinen letzten Weg. Nur noch ein paar Schritte bis zum Mond.
Hanoch Rosenn: »Speechless«.
Berlin, Tipi am Kanzleramt, 10. Februar bis 4. März
www.tipi-am-kanzleramt.de