Der Entwurf für das Kruzifix Salvador de Auschwitz ist eines der Gänsehaut auslösenden Objekte einer Mathias Goeritz gewidmeten Ausstellung im Museum Reina Sofia in Madrid. Die Schau mit dem Titel »Die Rückkehr der Schlange« vereint rund 200 Werke und berücksichtigt nahezu alle von Goeritz beherrschten Medien.
Als Schöpfer von »ungewöhnlichen Kruzifixen« und »Bildhauer avantgardistischer Blutgruppe« bezeichnete »Der Spiegel« im Jahr 1954 den hierzulande Unbekannten, der am 4. April 100 Jahre alt geworden wäre.
Es ist das Verdienst von Franscisco Reyes Palma, den Künstler, Kunstlehrer, Autor und Architekten nun einem breiten Publikum nahezubringen. Einfühlsam hat der mexikanische Kurator Goeritz’ erste große Retrospektive komponiert. Sie erstreckt sich über rund ein Dutzend Säle und folgt mit ausgesprochenem Erkenntnisdrang und bemerkenswerter Intensität dem Schaffen anhand öffentlicher Aufträge, religiöser Werke und der persönlichen Interessen des Künstlers.
Materialsicherheit Werner Matthias Goeritz Brunner (1915–1990) gilt als mexikanischer Jude. In Danzig geboren als Sohn des jüdischen Rechtsanwaltes Ernst Goeritz, der 1915 Kulturdezernent in Berlin-Charlottenburg wurde, und seiner Frau Hedwig, einer Tochter des Malers Carl Brünner, kam er frühzeitig mit Kunst in Berührung. Die Familie erwarb Bilder, etwa von Paul Klee, und engagierte sich kulturell. Goeritz studierte Malerei, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft.
Sein Ideenreichtum und räumliches Denken, die skulpturale Präsenz und Materialsicherheit seiner Arbeiten erklären sich auch aus der Vertrautheit mit verschiedenen künstlerischen Disziplinen und dem Wissen um ihren inneren Zusammenhang.
1941 emigrierte Goeritz, der sich in Malerei, Skulptur, visueller Poesie und Baukunst einen Namen machte, zunächst nach Marokko, 1949 dann nach Mexiko. Anfang der 50er-Jahre konnte er dank des Kunsthändlers Daniel Mont, der nicht nur das Grundstück spendierte, nach eigenen Vorstellungen in Mexiko-Stadt das Museo Experimental El Eco realisieren, das funktionaler Seelenlosigkeit entgegentrat und sich mit New Yorks MOMA auf Augenhöhe sah.
Minimalist Für den Innenhof schuf Goeritz die Attacke genannte begehbare Riesenschlange – der Betrachter durchmisst die Öffnungen des geometrisch abstrakten, in den Raum gezeichneten Leibs –, die der Madrider Schau den Titel gibt und von US-Minimalisten in den 60er-Jahren als Pionierleistung erkannt wurde. Die Madrider Replik ist allerdings um 15 Prozent kleiner als das Original, das Tänzer in einer Choreografie von Luis Buñuel 1953 anlässlich der Eröffnung von El Eco einweihten.
Die internationale Sammlerschaft, die die diesjährige Kunstmesse Arco besuchte, welche ihren kolumbianischen Schwerpunkt auffallend intensiv in Kulturinstitutionen der Stadt vorbereitet und begleitet fand, durfte zwar nicht den roten Patio des »Eco« erleben, der für Goeritz das Miteinander der Kulturen bedeutete – das Reina Sofia platziert die schwarze Schlange im weißen Raum –, aber in der Goeritz-Schau nachvollziehen, wie stark europäische Einflüsse die Ästhetik südamerikanischer Länder prägten, was Rio-Touristen selbst an den Gehwegen von Copacabana ablesen können, die Roberto Burle Marx gestaltet hat, Landschaftsarchitekt mit deutsch-jüdischen Wurzeln.
Goeritz, inspiriert auch von präkolumbianischer Formgebung und bemüht, zwischen Glaubensgräben zu vermitteln, schuf Altäre und Glasfenster für mexikanische Kirchen, evozierte mit seinen bis zu 57 Metern hohen Torres de la Ciudad Sátelite Glockentürme gotischer Kathedralen. »Emotionale Architektur« war sein Ziel. Sein Davidstern für die Maguen-David-Synagoge führte ihn zu den sieben sternförmigen Säulen für die Olympischen Spiele in Mexiko 1968.
1972 besuchte Goeritz erstmals Israel. Das Jerusalem Labyrinth gilt als sein wichtigstes Werk im öffentlichen Raum, erinnert an die Schrecken der Schoa und nimmt Peter Eisenmans Berliner Holocaust-Labyrinth vorweg. Die Ausstellung zeigt ein Modell. Nach Goeritz’ Plänen entstand in Israel auch das Saltiel Community Center.
Monumental Mexikanischer Propagandakunst im 20. Jahrhundert und dem Sozialen Realismus antwortet Goeritz mit Bauhausfundierter Sachlichkeit und Aufgeräumtheit der poetischen Form. In einer Epoche des Baubooms priesen Kollegen sein Vermögen zu monumentalem Ausdruck. In einem Manifest an die Regierung beklagten derweil kommunistische Künstler »die Ernennung eines ›entarteten ausländischen Stümpers und Plagiators‹ zum Museographen als eine nationale Schande«, so »Der Spiegel« 1954.
Das kostete den jüdischen Künstler diesen Job. Tatsächlich begriff Goeritz Kunst als Strategie kultureller Agitation und erwartete spezielle Reaktionen auf Bauwerke: »Architektur kann nur dann wieder als eine Kunst betrachtet werden, wenn sie wieder wahre Emotionen in uns hervorruft.«
Postum entstand für den Anie & Moshe Trottner Park in Jerusalem Goeritz’ letzte Skulptur. Wer seinen Schlangenchiffren folgt, wird seine Position auch mit der Seele sehen.
»El retorno de la serpiente. Mathias Goeritz y la invención de la arquitectura emocional«. Noch bis 13. April im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid
www.museoreinasofia.es