Literatur

Rückzug ins Privatleben

Monika Maron gilt als eine der wichtigsten und umstrittensten deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwart. Foto: picture alliance / dpa

»Ich wollte in das Haus nicht einziehen.« Mit diesem sperrigen Satz beginnt Marons Buch, und schon ist er da, der Zauberberg-Moment: Die nicht gekommen ist, um zu bleiben, wird bleiben, und die Zeit wird verrinnen. Marons neuester Roman Das Haus ist meisterlich geschrieben. Konsequent wie konzentriert bleibt er über 230 Seiten hinweg bei einem unspektakulären Erzählton, lässt sich nicht hetzen, treibt so dahin und bietet dennoch ein literarisches Erlebnis. Das Haus geht an die Nieren, denn unter den Sätzen brodelt es.

Eva spricht. Sie ist in den 26 Kapiteln das »Ich«, das kontinuierlich darüber berichtet, was während zwölf Monaten geschehen ist. Wir sind im Jahr 2019, und deshalb findet zum Beispiel auch der Brand von Notre-Dame seine Erwähnung. Eva, ehemals Kulturredakteurin und Autorin, ist alt. Nicht ganz alt, aber hinter sich gebracht, hat sie schon so einiges: das Berufsleben, das (über)fordernde Familienleben, Beziehungsgeschichten …

Sie weiß längst, dass harte Schicksalsschläge am Ende vor keinem haltmachen. Und irgendwo da hinten, noch nicht in Gänze sichtbar, aber durchaus schon da, liegt der Tod. Eva ist also über 60, aber noch nicht 80. Und so alt sind alle, die der Einladung Katharinas, einer ehemaligen Tierärztin und guten Freundin Evas, gefolgt sind, zusammen (und mietfrei!) in einen geerbten großzügigen und frisch renovierten Gutshof irgendwo auf dem Land zu ziehen.

Eva ist Skeptikerin, Katharina die Vernünftige, und Gerlinde hat eine Hundephobie.


Die polnische Grenze ist nah, Berlin etwa 100 Kilometer entfernt und der Garten ums Haus einfach wunderbar. Acht willige, an Seele und Körper angekratzte, doch im Großen und Ganzen gut gealterte Akademiker gehen das Experiment ein, machen noch einmal einen Turn, und eigentlich könnten sie sich jetzt, unter diesem gediegenen Dach ihrer privilegierten Lage bewusst werden. Sie tun das – nicht ganz untypisch für fein gealterte Akademikerkreise – nicht wirklich.

Man unterhält sich, lernt sich kennen, beäugt sich, stellt die Unterschiede fest: Sylvie ist der Hippie unter den Alten, Katharina die Vernünftige, Gerlinde die Komplizierte mit der Hundephobie, Johannes der Melancholiker … Und die berichtende Eva? Sie ist die Skeptikerin, die alles gern ein bisschen anders sieht (»Ich sagte wieder mal: Na ja …«). Im Gutshof wächst man, wachsen Menschen mit ost- wie westdeutscher Vergangenheit ein wenig zusammen.

In Das Haus geht es um den Zustand des Alt-Geworden-Seins (»Was soll aus diesem Rest des Lebens werden, in dem man nicht mehr sein durfte, wer man bis dahin war?«). Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn sich (nicht eben wenige) Menschen mit einem Glas Rotwein in der Hand ins Private zurückziehen, wenn sie reflektieren, resümieren, sich in ihrer Bildung aalen? Was bedeutet das für Prozesse, die – Alter hin oder her – nach Beteiligung verlangen?

Der Sommer auf dem Land ist unglaublich heiß, es herrscht eine gefährliche »nicht endende brüllende Hitze«, und dann ist da auch immer wieder von Tagebüchern auf dem Schrank die Rede, deren Lektüre Eva ebenso fürchtet wie sie vor deren Vernichtung zurückschreckt. Die selbst gewählte Isolation der Gruppe erinnert natürlich an die Zeit der Corona-Lockdowns, von denen die WG allerdings noch nichts wissen kann, die ihr sozusagen in naher Zukunft noch blühen.

Die selbst gewählte Isolation der Gruppe erinnert an die Corona-Lockdowns.

Die Frage danach, ob ein junger Leser Das Haus »ertragen« kann, ist wahrscheinlich die Frage danach, ob er die Menschen darin »ertragen« kann, die trotz gesellschaftlicher Dringlichkeiten offen ihren Rückzug signalisieren.

Monika Maron, eine der wichtigsten und umstrittensten deutschsprachigen Gegenwartsautoren, ist 82 Jahre alt. Geboren wurde sie in Berlin. Ihre Mutter durfte wegen ihrer jüdischen Herkunft ihren Vater nicht heiraten. Maron hat 1999 in Pawels Briefe ihrem Großvater, der 1942 ermordet worden ist, ein literarisches Denkmal gesetzt. Mit ihrem Debüt Flugasche (1981), dem ersten Umweltroman der DDR, fand sie große Beachtung. Im Osten Deutschlands durfte das Buch nicht erscheinen.

1988 ging Maron in den Westen. Viele Bücher, viele Preise folgten. In den vergangenen Jahren machte sie in Essays und Interviews mit deutlichen Positionen unter anderem zur Flüchtlingspolitik sowie auch mit ihrer islamkritischen Haltung auf sich aufmerksam. 2020 beendete der S. Fischer Verlag die Zusammenarbeit mit ihr. Ihre Bücher erscheinen seither bei Hoffmann und Campe.

Wie Das Haus endet, darf natürlich nicht verraten werden, womit fast schon zu viel verraten ist.

Monika Maron: »Das Haus«. Hoffmann und Campe, Hamburg 2023, 240 S., 25 €

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