Herr Strauß, Sie gehören der sogenannten Rolf-Joseph-Gruppe an, die den Berliner Schoa-Überlebenden kennenlernte, seine Biografie schrieb und Rolf-Joseph-Preis auslobte. Nun wird der Preis zum zehnten Mal vergeben. Freuen Sie sich auf die Verleihung?
Ja, sehr. Obwohl diese Preisverleihung wie viele andere Veranstaltungen im Moment unter dem Eindruck dessen stehen wird, was in Israel Schreckliches passiert. Es sind ja ungeheuer bedrückende Tage und trotzdem glauben wir, dass es umso wichtiger ist, eine Veranstaltung in Erinnerung eines Holocaustüberlebenden im Jüdischen Museum Berlin stattfinden zu lassen. In einer gewissen Weise ist diese Veranstaltung jetzt auch ein Zeichen in dieser Zeit.
Definitiv. Sie und Ihre Mitstreiter in der Gruppe hören auf, der Preis wird jetzt zum letzten Mal verliehen. Warum?
Das hat einfach nur mit unseren Belastungen zu tun. Dieser Preis ist ja eigentlich nur der zweite Teil einer Geschichte, die 2004 anfing mit einem Synagogenbesuch in der Pestalozzistraße, wo Rolf Joseph Beter war. Und wir haben das jetzt zehn Jahre lang zusammen mit unserem Schirmherrn Albrecht Hoppe in ziemlicher Eigenregie gemacht. Das hat uns eigentlich von Anfang an immer schon überfordert. Aber je größer die ganze Sache wurde, und je mehr Einsendungen es gab, desto größer wurden der Zeitaufwand und die Verpflichtungen. Da haben wir uns jetzt als Gruppe entschieden, dass das nicht mehr verantwortbar ist gegenüber den Einsendungen, denn die Schülerinnen und Schüler haben sich ja jeweils größte Mühe gegeben mit ihren Einsendungen und haben das Recht, angemessen beurteilt zu werden.
Schüler sollen sich mit der Erinnerungsarbeit auseinandersetzen und fertigen Präsentationen an. Wie viele Einsendungen erhalten Sie denn?
Das sind eben dann doch immer schon so 50 bis 60 Einsendungen, die wir bekommen. Zum Teil handelt es sich um Projekte, an denen die Schülerinnen und Schüler bis zu einem Jahr arbeiten. Unglaublich wertvolle lokalgeschichtliche Recherchen entstehen so. Die Schüler setzen sich erstmals mit jüdischem Leben in ihren Städten, zum Teil Kleinstädten auseinander und nehmen Kontakt mit Nachkommen und Nachfahren von Holocaustopfern auf. Und so entstehen zum überwiegend großen Teil sehr, sehr eindrucksvolle Beiträge. Es ist uns wirklich schwergefallen, die Entscheidung zu treffen.
Sie gehören der Jury an?
Ja, wir alle. Die Jury-Sitzungen zogen sich immer weiter in die Länge und die Vorbereitung, die man eigentlich bräuchte, um das zu würdigen, was uns da Kostbares eingesandt wurde, das können wir einfach nicht mehr leisten. Und ja, in einer gewissen Weise bräuchte es da jetzt wirklich eine Institution dahinter, die den Rolf-Joseph-Preis in die Zukunft führt. Dieser Preis hat jedenfalls gezeigt, dass es eine enorme Neugier und auch ein eindrucksvolles Engagement in Schülerkreisen gibt, sich mit dem jüdischen Leben in Deutschland auseinanderzusetzen.
Ist es jetzt in Anbetracht der aktuellen Situation in Israel der falsche Zeitpunkt, damit aufzuhören?
Ja, natürlich. Aber auch zu einem anderen Zeitpunkt hätte es mit Blick auf die Bedeutung einer Bewusstmachung des jüdischen Lebens in Deutschland nicht richtiger ausgesehen. Das ist uns allen klar. Wir hoffen insgeheim ein bisschen darauf, dass es eine Institution gibt, die sagt, wir führen das in einer neuen, anderen Form weiter fort. Und dass das Erinnern an Rolf Joseph so weitergeht.
Vor einigen Jahren ist Rolf Joseph verstorben. Er überlebte versteckt in Berlin die Schoa. Später hat er es gemocht, sich mit jüngeren Leuten auseinanderzusetzen. Wie werden Sie ihn in Erinnerung behalten?
Für uns war Rolf Joseph ein geschenkter Großvater. Ich werde Herrn Joseph auf einer persönlichen menschlichen Ebene immer als einen unglaublich freundlichen, zugänglichen, offenherzigen alten Mann in Erinnerung behalten. Als junge Schülerinnen und Schüler sind wir ihm zum ersten Mal in der Synagoge Pestalozzistraße begegnet. Der Handschlag, den wir mit ihm hatten, ist in irgendeiner Form auch eine Verpflichtung, sich nicht leichtfertig zur Frage der Erinnerungskultur in Deutschland zu äußern. Ich weiß, dass es mittlerweile vielleicht ein bisschen altmodisch ist, aber für mich ist die Beschäftigung mit dem jüdischen Leben in Deutschland nach wie vor eine Verpflichtung. Es gehört zu meiner persönlichen Staatsräson dazu, sich ernsthaft und bewusst mit dem Thema auseinanderzusetzen und das weiterzutragen an meine Kinder.
Sie und Ihre ehemaligen Mitschüler haben mit einem Religionskursus die Synagoge besucht. Dann haben Sie zu sechst seine Biografie aufgeschrieben und mit den Erlösen einen Verein auf die Beine gestellt, der den Preis auslobt.
Wir haben Glück gehabt, dass wir Unterstützer wie das Jüdische Museum in Berlin hatten. Die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) hat uns in den letzten Jahren finanziell unterstützt. Die Gelder, die wir damals von dem Buchverkauf hatten, sind schon lange aufgebraucht. Wir haben ein paar Spenden bekommen. Aber man müsste jetzt auch noch mal eine wirkliche neue Finanzierungsinitiative beginnen, um, wie gesagt, das vor allem logistisch zu bewerkstelligen. Es geht ja gar nicht so sehr um das Preisgeld, sondern es geht darum, dass man die ungefähr 40 Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland nach Berlin holt, Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung bezahlt. Das ist kein kleiner Kostenpunkt.
Wie ist das Feedback der Schüler?
Sie sind immer überwältigt. Ich kann das natürlich nur aus einzelnen Gesprächen entnehmen, aber ich glaube, sie fahren zurück mit einem Gefühl der positiven Auszeichnung, dass dieses Engagement sie eben auch besonders macht. Meinetwegen auch vor anderen Klassenkameraden, die dieses Thema nicht so wichtig nehmen in ihren Schulzusammenhängen. Und ich glaube, das hat schon eine Wirkung. Und dieses Mal haben wir uns auch explizit noch mal was überlegt, was wir eigentlich immer in den letzten Jahren angedacht hatten. Jetzt machen wir es: Wir bringen die Gewinner-Schulklassen zusammen mit Schülerinnen und Schülern des Jüdischen Gymnasiums in Berlin. Unter der Leitung der Choreografin Sophie Brunner veranstalten wir einen Tanzworkshop und bringen junge deutsche Juden und junge deutsche Nicht-Juden zusammen. Und wenn man jetzt träumen könnte, würde ich auch sagen, so was könnte in der Zukunft noch eine wichtigere Rolle spielen. Wir, als Joseph-Gruppe, treten jetzt zurück. Aber der Preis könnte sich auch wandeln und zum Beispiel die Verständigung zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Schülern stärken. Nicht wenige der Schülerinnen und Schüler sagen, dass sie noch nie in ihrem Leben mit jüdischen Mitbürgern zu tun gehabt haben. Wer weiß, vielleicht ergeben sich ja doch noch Folgeprojekte. Als Gruppe geben wir den Preis jetzt aber erst einmal sozusagen aus der Hand und weiter.
Mit dem Schriftsteller und Theaterkritiker sprach Christine Schmitt.