Wasser, Zement und Kies: So kurz ist die Zutatenliste für Beton. Der seit 2.000 Jahren bewährte Baustoff, den die Römer für bleibende Kunstwerke wie das Pantheon einsetzten, erweist jetzt im Zentrum der deutschen Hauptstadt bei einem erst 2005 fertiggestellten Werk seine Tücken: Das Stelenfeld des »Denkmals für die ermordeten Juden Europas« am Brandenburger Tor könnte schon bald wieder zur Dauerbaustelle werden. Nach Angaben von Bernd Hillemeier von der Technischen Universität Berlin sind an rund 1.500 Stelen schadhafte Stellen. Vor einem Jahr waren an 400 von ihnen Risse festgestellt worden. Die Mängel haben sich also innerhalb von zwölf Monaten fast vervierfacht.
materialmängel Eine Blamage. Das politisch vielleicht wichtigste Denkmal der jüngeren deutschen Geschichte ist ein Bauschaden. Die »Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas« hat Angst, dass ganze Ecken und Brocken von den Stelen abfallen und Passanten gefährden könnten – rund 10.000 Menschen besuchen das Mahnmal jeden Tag. Einstweilen müssen die 24 am stärksten gefährdeten Stelen mit hässlichen Stahlmanschetten gesichert werden, um der juristischen »Verkehrssicherungspflicht« für das Mahnmal nachzukommen.
Fast 30 Millionen Euro hatte das Mahnmal den Bund gekostet. Nur sieben Jahre nach der feierlichen Einweihung 2005 muss es nun aufwendig saniert werden. Die Reparaturarbeiten an den defekten Stelen versprechen, diffizil zu werden. Die Risse, die sich teilweise mehrere Meter lang durch die bis zu 4,70 Meter hohen Betonblöcke ziehen, sollen mit teuren Kunstharz-Injektionen geschlossen werden, denn, wie Mahnnmalsarchitekt Peter Eisenman schon vor Jahren erklärte: »Ersetzen wird man die rissigen Stelen nicht können, weil es keinen Kran gibt, der groß genug wäre, um an die Stelen in der Mitte des Feldes heranzukommen.«
gerichtsverfahren Warum die Risse auftreten, ist unklar. Uwe Neumärker, Geschäftsführer der Stiftung, sagt, die Schäden seien von Anfang an einkalkuliert gewesen: »Beton arbeitet. Kälte und Hitze setzen dem Material zu.« Für ihn ist das »Problem ein ästhetisches, und kein statisches«. Auch Eisenman fand es normal, als vor Jahren die ersten Risse auftraten, denn »Bauwerke altern: Jedes Gebäude muss unterhalten, repariert, ausgebessert werden.« Inzwischen hat sich die Situation jedoch dramatisch verschlechtert. Eisenmans Aussage, »Beton bleibt nun einmal nicht lange monolithisch«, hat sich ungut bewahrheitet.
Ingenieure vermuten, dass beim Bau der hohlen Betonstelen nicht genug Stahl zur Armierung verwendet worden sein könnte oder dass der Beton nicht lange genug getrocknet hatte, bevor er verbaut wurde. Auf Antrag der Stiftung, vertreten durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, eröffnete das Landgericht Berlin am 18. Februar 2010 ein Beweisverfahren gegen die Firma Geithner, die einst den Auftrag zum Bau des Mahnmals erhalten hatte. Vom Gericht wurde der Sachverständige Wolfgang Brameshuber von der renommierten Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen als Sachverständiger bestimmt.
Sein Gutachten liegt seit Januar 2012 vor, die Stiftung hält es jedoch geheim. Was man weiß, ist, dass es in dem Gutachten heißt, es sei notwendig, »einen Teil der Stelen gegen den Abbruch von Betonteilen zu sichern. Dies betrifft nur Stelen, die zwischen einem und zwei Metern hoch sind und die Risse haben, die ganze Teilbereiche umschließen. Denn hier können die umschlossenen Betonteile herausbrechen und herabfallen«. Das trifft auf 380 der Stelen zu.
kontrollgänge Täglich werden jetzt Kontrollgänge an den Stelen durchgeführt, um Verschlimmerungen der Risse zu attestieren. Eine Lösung des Problems liegt noch in weiter Ferne. Erst, wenn das gerichtliche Beweisverfahren abgeschlossen ist, kann über die Sanierung des Denkmals entschieden werden. Das Problem muss »sowohl konstruktiv als auch kosmetisch gelöst werden«, so der Architekt Günter Schlusche, der zur Bauzeit des Mahnmals für die Stiftung tätig war. Die Wanddicke der hohlen Stelen ist seiner Meinung nach ebenso wenig das Problem wie die Zuschläge, die dem »selbst verdichtenden« Beton zugegeben wurden. Auch die Entscheidung, Hohlkörper anstatt massiver Stelen zu bauen, bereut Schlusche nicht.
Ob sich das Problem durch Reparaturen oder mittelfristig sogar nur durch den Austausch der Stelen lösen lassen wird, darüber kann bisher nur spekuliert werden. Man sucht nach Lösungen: An einer gerissenen Stele wird derzeit ein Textilbeton für die Erprobung einer Sanierungsmethode getestet. Wie alles in Deutschland, sind selbst Risse im Beton in einschlägigen Normen katalogisiert.
»Risse an sich sind tolerabel, aber die ›Rissweitenbeschränkung‹ wird nun überschritten«, so Schlusche. Und das, obwohl ein »hochwertiger Beton verwendet wurde, der besonders harte und glatte Oberflächen« hat. Die Wahl dieses Baustoffs sollte die abstrakte, kubische architektonische Aussage Eisenmans einst unterstützen. Jetzt wird sie ihm eventuell zum Verhängnis. Um einen alten Werbespruch zu zitieren: Beton – es kommt drauf an, was man draus macht!