Frau Donath, haben Sie Ihre Entscheidung jemals bereut, keine Kinder bekommen zu haben?
Im Gegenteil! Ich wache jeden Morgen auf und bin froh darüber, dass ich zu einer sozialen Gruppe gehöre, die mir erlaubt, nicht Mutter zu sein. Denn nicht jede Frau auf dieser Welt kann diese Entscheidung treffen. Es ist ein Privileg, dass ich so leben kann, wie ich will.
In Ihrem neuen Buch »#regretting motherhood. Wenn Mütter bereuen« sprechen Sie ein bisher kaum ausgesprochenes Thema an: dass viele Frauen in der Mutterschaft nicht die vorgeschriebene Erfüllung finden. Wann war Ihnen klar, dass Sie keine Kinder wollen?
Als ich 16 Jahre alt war. Ich werde oft gefragt, was damals passiert ist. Die Leute gehen davon aus, dass ich ein Trauma erlebt habe. Aber so war es nicht. Meine Freundinnen fingen an darüber zu sprechen, wie viele Kinder sie wollen, wie sie sie nennen möchten. Für sie war es selbstverständlich, dass sie irgendwann Mütter sein werden. Ich dachte: Oh, interessant. Das war niemals mein Traum. Mir wurde klar, dass ich das nicht möchte, es war ein Gefühl, tief in mir.
Viele sagen, dass es ganz natürlich ist, dass jede Frau irgendwann Kinder möchte. Wie kommt es, dass manche Frauen es nicht wollen oder eben hinterher bereuen?
Die Frage muss anders gestellt werden: Warum geht die Gesellschaft davon aus, dass jede Frau Mutter sein möchte? Ich verstehe Ihre Frage, schließlich lebe ich in einer Gesellschaft, die so denkt. Aber ich halte es für logisch, dass es Frauen gibt, die Mütter werden wollen, und andere, die das nicht wollen. Wir sind verschieden. Nur weil wir alle Frauen sind und das gleiche Reproduktionssystem haben, heißt es nicht, dass wir dieselben Träume, Fantasien oder Ziele haben.
Im Judentum gibt es ja das Bild der jiddischen Mamme …
… nun, ich denke, dass jede Gesellschaft ein Bild von der guten Mutter hat. Das ist nicht nur in Israel so.
Dennoch gilt Israel als besonders familienfreundlich. Kein anderes Land unterstützt das Kinderkriegen so sehr. Und wenn es auf natürlichem Wege nicht klappt, zahlt der Staat sogar die künstliche Befruchtung.
Aber da geht es nicht um das Bild der jiddischen Mamme, sondern um die Stimmung in der Gesellschaft. Der Druck, Mutter zu werden, ist in Israel enorm. Das hat mit der Geschichte zu tun, der Schoa, den Kriegen, der politischen Situation und dem »Seid fruchtbar und mehret euch«. Es ist kompliziert.
Was genau ist es denn, was Mütter bereuen könnten?
Viele fühlen: »Das bin nicht ich.« Es passt nicht zu ihnen. Sie bereuen es, für ein anderes Lebewesen auf diese Weise verantwortlich zu sein. Klar müssen wir als Menschen immer Verantwortung übernehmen. Aber diese Art von Verantwortung ist schwer, der Druck ist groß, die Mama von jemandem zu sein. Es geht um diese Beziehung zu einem anderen Lebewesen, ganz unabhängig davon, ob die Frauen kleine oder erwachsene Kinder haben, ob sie die täglichen Aufgaben übernehmen, ob sich der Mann um die Kinder kümmert oder ob die Frauen gar getrennt von der Familie leben.
Mögen diese Frauen ihre Kinder denn?
Viele haben mir erzählt, dass sie ihre Kinder lieben, als Menschen, als Persönlichkeiten. Sie bereuen nur die Mutterschaft, die Beziehung, die sie zu diesen Menschen haben.
Fühlen sie sich als schlechte Mütter?
Ja, viele. Manche wegen dieser Reue. Sie wissen, dass es gesellschaftlich nicht akzeptiert ist, so zu fühlen. Andere haben nicht die Geduld, gute Mütter zu sein. Sie interessieren sich nicht dafür, mit ihren Kindern zu spielen oder in den Park zu gehen.
Wissen die Kinder von den Gefühlen ihrer Mütter?
Sie haben nicht zu ihren Kindern gesagt: »Ich bereue, dich bekommen zu haben, du hast mein Leben ruiniert.« Aber es gibt Mütter, die mit ihren erwachsenen Kindern über die Möglichkeit sprechen, nicht Mutter zu werden. In einem Fall war es eine Mutter von zwei erwachsenen Töchtern. Sie hat mit ihnen darüber gesprochen, dass die Mutterschaft keine Garantie für Glück und Freude ist und dass sie sich entscheiden sollen, ob sie das wollen oder nicht.
Haben diese Frauen denn bereits vor der Geburt darüber nachgedacht? Haben Sie geahnt, dass das nichts für sie ist?
Ein Drittel der 23 Frauen, die ich interviewt habe, wollte nicht Mutter werden, wurde aber vom Partner oder anderen dazu gedrängt. Ein weiteres Drittel konnte sich nicht mehr erinnern, ob sie es wirklich wollten. Für sie stand fest: Es ist der natürliche Weg. Und das letzte Drittel sind die Frauen, die wirklich gerne Mütter werden wollten, die sicher waren, dass es sie erfüllt. Hinterher war es aber nicht so.
Bereits 2015 haben Sie die Ergebnisse Ihrer Studie veröffentlicht. In Israel blieb es relativ ruhig. In Deutschland hingegen haben Sie eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Hat Sie das überrascht?
In Israel haben wir das Bild von Deutschland, dass es dort einfacher ist, kinderlos zu sein. Ich habe deshalb nicht erwartet, dass die Studie solch einen Sturm auslöst. Nun verstehe ich: In Deutschland mag es zwar mehr Frauen geben, die nicht Mütter sind. Aber ihr Status ist nicht so hoch wie der von Müttern. Es wird ebenfalls erwartet, dass sich Mütter entsprechend fühlen, dass sie es also nicht bereuen.
Sie wollen das Buch nun auch in Israel veröffentlichen. Es scheint aber, dass das Interesse dort nicht so groß ist. Warum ist das so?
Es hat auch in Israel Artikel über meine Studie gegeben, die eine Debatte ausgelöst haben. Das hielt aber nur wenige Tage an, es ist nicht annähernd das Gleiche wie in Deutschland. Vielleicht sind wir noch nicht bereit.
Egal, ob Deutschland oder Israel: Was können die Gesellschaften jetzt mit den Ergebnissen der Studie anfangen? Da war ja das eine Drittel der Frauen, die überzeugt waren, dass sie Kinder haben wollen. Sie hatten sich ja bewusst dafür entschieden.
Zunächst sollten wir anerkennen: Reue ist nichts Schlimmes. Hinterher weiß man immer mehr, das gehört zum Leben dazu. Ich glaube aber, dass der Druck auf Frauen abnehmen muss. In Israel heißt es zum Beispiel oft: »Du begehst den Fehler deines Lebens, wenn du es nicht machst.« Ich habe mit 70-jährigen kinderlosen Frauen gesprochen, die glücklich damit sind. Klar gibt es Frauen, die es bereuen. Alles ist möglich. Und noch etwas: Viele denken, ich rufe mit meiner Studie Frauen dazu auf, ihre Mutterschaft zu bereuen. Nein! Aber man sollte diese Frauen nicht zu Monstern machen. Es ist menschlich, zu bereuen.
Mit der israelischen Soziologin sprach Lissy Kaufmann.
Orna Donath: »#regretting motherhood«. Knaus, München 2016, 272 S., 16,99 €