Der neue Film des Regisseurs Vadim Perelman, Persischstunden, basiert auf der Kurzgeschichte Die Erfindung einer Sprache. Verfasser dieser Geschichte ist der preisgekrönte Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase. Er hat diese Geschichte bereits in den 70er-Jahren in der DDR verfasst, nachdem er an neorealistischen Filmen wie Berlin – Ecke Schönhauser (1957) mitgearbeitet hatte.
In Kohlhaases Geschichte geht es um dem niederländischen KZ-Häftling Straat und den brutalen Kapo Battenbach, der früher als Zuhälter in Hamburg lebte. Der Kapo will unbedingt Farsi lernen, um eines Tages ein neues Leben bei seinem Bruder in Teheran beginnen zu können.
rebellion Für Battenbach ist das Erlernen einer Sprache im Lager fast so etwas wie eine kleine, private Rebellion gegen das System. Für Straat geht es darum, jeden kommenden Tag im Lager zu überleben. Also erfindet er sein eigenes »Persisch« und bringt Battenbach diese Sprache bei. Im Gegenzug will der Kapo dafür sorgen, dass sein Persischlehrer das Lager überlebt. Die Sache gelingt: Der Kapo wandert schließlich nach Teheran aus, Straat nimmt in den Niederlanden sein Studium wieder auf.
Vadim Perelman hat nun aus der nur wenige Seiten umfassenden Geschichte von Kohlhaase einen zweistündigen Kinofilm gemacht. In Persischstunden überlebt der belgische jüdische Häftling Gilles ein Erschießungskommando nur deswegen, weil er vorgibt, ein (nichtjüdischer) Perser zu sein. Nun soll Gilles dem SS-Mann Koch, dem Leiter der Küche im Transitlager, auf dessen Wunsch Persisch beibringen. Also muss Gilles, wie in der Kurzgeschichte, sein eigenes »Persisch« erfinden, um nicht deportiert und ermordet zu werden.
»Drama«, so hat Wolfgang Kohlhaase einmal in einem Interview erklärt, »entsteht, wenn – von verschiedenen Standpunkten aus – die Personen recht haben. Das entsteht nicht, wenn Recht und Unrecht sehr übersichtlich sortiert sind.« Und hier liegt das Problem des Films Persischstunden: Während in der literarischen Vorlage der Täter zugleich Opfer ist, so ist die Konfrontation zwischen dem SS-Mann Koch und dem Häftling Gilles, zwischen Unrecht und Recht, tatsächlich sehr »übersichtlich«.
mitleid Wenn der Nazi auch vielleicht eine versteckte menschliche Seite besitzen mag, so merkt man es nicht. Und das Mitleid der Zuschauer wird sich auch dann in Grenzen halten, wenn Koch im Schweiße seines Angesichts Vokabeln paukt, mit denen er in Teheran nicht einmal eine Tasse schwarzen Tee wird bestellen können.
Wenn der Nazi auch vielleicht eine versteckte menschliche Seite besitzen mag, so merkt man es nicht.
Dabei sind Nahuel Pérez Biscayart in der Rolle des Gilles und Lars Eidinger als Klaus Koch hervorragend besetzt. Beide schaffen es, dass die von ihnen gespielten Charaktere absolut glaubwürdig sind. Sie tragen den Film. Und das ist keine leichte Aufgabe, denn er ist mindestens 30 Minuten zu lang. Und er ist zu lang, weil er weder dramatisch noch spannend genug ist. Dass Gilles überlebt, wird bereits in den ersten Sekunden des Films klar. Und was am Ende aus Koch wird, ist dem Zuschauer gleichgültig.
Auch wenn der Film als Kammerspiel inszeniert ist, das sich auf den Häftling und den SS-Mann konzentriert, so ist der Ort des Geschehens das alles entscheidende Moment des ganzen Films. Der Ort bestimmt die Machtverhältnisse. Und das Überleben oder Sterben. Doch obwohl die meisten Menschen im Lager inhaftierte jüdische Häftlinge sind, die dort auf ihre Deportation warten müssen, so erhalten nicht sie, sondern ausgerechnet die Männer und Frauen der SS in Persischstunden den meisten Text. Die meisten Nahaufnahmen. Die größte Aufmerksamkeit.
hass Der Zuschauer erfährt so, was die SS-Leute in ihrer »Freizeit« beschäftigt, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, Häftlinge zu drangsalieren oder zu ermorden. Der Regisseur Vadim Perelman hat erklärt, »dass wir alle menschliche Wesen sind, dass wir alle fähig sind zu lieben, aber gleichzeitig auch fähig sind, die abscheulichsten Dinge zu vollbringen, grausame Handlungen voller Hass zu begehen«.
Das mag stimmen. Nur am Beispiel des SS-Wachpersonals beim Kantinenessen oder beim Picknick lässt sich diese philosophische Grundhaltung nur sehr schwer illustrieren.
Wer wissen will, warum Persischstunden dennoch ein guter Film geworden ist, der schaue sich die ersten und die letzten fünf Minuten an. Sie entschädigen den Zuschauer für alles andere dazwischen.
Ab 24. September im Kino