Eine Klammer zwischen Hitchcock und Menachem Begin? Der »missing link« zwischen Kurt Weill und Mickey Cohen, Groß-Gangster von Los Angeles, zwischen George Grosz, Howard Hawks und dem ersten Oscar, der 1929 für ein Original-Drehbuch verliehen wurde, und Irgun? Die Antwort darauf besteht aus zwei Worten, einem Vor- und einem Nachnamen – Ben Hecht.
Jüngeren heute kaum mehr ein Begriff, war Hecht zwischen 1927 und Mitte der 50er-Jahre einer der bekanntesten Kreativen der US-Unterhaltungsindustrie. An zahllosen Filmen aus der Goldenen Zeit Hollywoods wirkte er mit – und war jahrelang der bestbezahlte Drehbuchautor und Script Doctor.
Underworld, Scarface, A Star is Born, His Girl Friday, Spellbound, Whirlpool, das ist nur eine winzige Auswahl an Filmen, die Hecht schrieb oder an deren Drehbüchern er mitwirkte, dessen Hauptwohnsitz nicht Los Angeles war, sondern Nyack im Bundesstaat New York. Der Viel- und Schnellschreiber behauptete, manche Filmskripte während der viertägigen Zugfahrt von der Ost- an die Westküste verfasst zu haben.
BERLIN Vor einigen Jahren kamen zwei vor Esprit funkelnde Ben-Hecht-Bände auf Deutsch heraus. Im einen berichtete er, der kein Wort Deutsch sprach, über seine Zeit als Reporter im Berlin 1918/19, das andere enthielt unter dem Titel Von Chicago nach Hollywood seine »Erinnerungen an den amerikanischen Traum«.
Jeder, der darin Hechts irrwitzige Schilderung gelesen hat, wie er eine neue Version des Skripts von Vom Winde verweht schrieb, wird diesen Film mit neuen Augen sehen. Denn Hecht wurde angeheuert, ohne auch nur eine Seite des 1400 Seiten starken Mitchell-Romans gelesen zu haben. So spielten ihm, der Pfeife schmauchend an seiner Schreibmaschine saß, Produzent David Selznick und der Regisseur Victor Fleming eine Woche lang bis zu 20 Stunden pro Tag die Szenen des Buches vor, bis Selznick einen Starrkrampf bekam.
Nun, nach fast 30 Jahren, liegt eine neue biografische Darstellung vor, ein Band in der Reihe »Jewish Lives« der Yale University Press, aus der Feder von Adina Hoffman. 2016 veröffentlichte sie die exzellente Monografie Till we have built Jerusalem: Architects of a new City. Sie erzählte darin von drei höchst unterschiedlichen Architekten, die in Jerusalem ihre Spuren hinterließen, dem Berliner Erich Mendelsohn, dem Engländer Austen St. Barbe Harrison und dem fast vergessenen Spiro G. Houris.
CHICAGO Ein dankbareres biografisches Thema als den witzigen Feuerkopf Hecht dürfte es kaum geben. Hoffman stürzt sich klug, im Urteil abgewogen, hie und da entschieden wertend auf Leben und Wirken des 1893 geborenen Amerikaners, der die ersten zehn Lebensjahre in New Yorks Lower East Side verbrachte, bis seine Eltern, unterschiedlich erfolgreich als Schneider und Betreiberin eines Kleidergeschäfts, sich via Philadelphia nach Chicago hocharbeiteten und sich schließlich in Racine am Lake Michigan niederließen.
Mit 17 brach Ben nach drei Tagen das College ab, schlug sich nach Chicago durch, ohne Plan, traf zufällig einen Verwandten, der ihn zu einem Leitenden Redakteur einer der führenden Chicagoer Tageszeitungen schleppte. Der Einstellungstest dort: binnen einer Stunde ein schlüpfriges Gedicht schreiben. Hecht bestand. Und arbeitete sich vom Aushilfsfotografen zu einem der bekanntesten Reporter der Stadt hoch.
HOLLYWOOD Der übersprudelnde Konversationskünstler schrieb nebenbei modernistische Lyrik und Prosa. Und verkaufte für gutes Geld Unterhaltungstexte. Dann unternahm er im Abstand weniger Jahre immer wieder Neues und war immer wieder erfolgreich. Erst die Kolumne »1001 Nights in Chicago«, nach dem Umzug nach New York dann Theaterstücke, darunter der Riesenerfolg Extrablatt. Anschließend Hollywood, das er ausdauernd verachtete und verhöhnte. Dort wurde er binnen Kurzem durch seine Gangsterfilme zum Drehbuch-Star.
1939 dann die Entdeckung seines »Jüdischseins«. Jahrelang furiose Anklagen der amerikanischen Untätigkeit angesichts des Holocaust. Und noch wütenderes Eintreten für Irgun. Mit der Gründung Israels brach sein Interesse wieder jäh ab. Hoffman erklärt dies schlüssig damit, dass Hecht regelmäßig neue Feuersteine benötigte, um Funken zu erzeugen.
Schließlich eine TV-Show. Und bis zu seinem Tod 1964 zahlreiche, qualitativ schwankende Buchprojekte, als letztes noch ein nie realisiertes raffiniertes Drehbuch für einen James-Bond-Film. Auf knapp 220 Textseiten gelingt Hoffman ein rundes, lesbares Porträt dieser so feurigen, so komplexen, so vielen Menschen zugewandten Persönlichkeit.
Adina Hoffman: »Ben Hecht. Fighting Words, Moving Pictures«. Yale University Press, New Haven 2019, 250 S., 20,99 €