Nicht immer sind besondere Dinge auch selten. Das beste Beispiel ist das Molekül Ubiquitin, von dessen Allgegenwart schon sein Name kündet. Dieses unscheinbare kleine Teilchen hält die Maschinerie des Lebens in der Spur – und seine Erforschung hat israelische und deutsche Forscher in einer nun preisgekrönten Kooperation zusammengeführt, die weitreichen- de Erkenntnisse über Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson verspricht.
Im April verlieh die Deutsche Technion-Gesellschaft den Wissenschaftlern Thomas Sommer vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin und seinem Kollegen Michael Glickman vom Israelischen Institut für Technologie, dem Technion, ihren mit 5.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis. Die Organisation würdigt damit nicht nur die wissenschaftliche Leistung der beiden Forscher, sondern vor allem deren Verdienste um die deutsch-israelische Zusammenarbeit.
Seit 2002 bereits verleiht die Deutsche Technion-Gesellschaft alle zwei Jahre ihren Wissenschaftspreis an Forscher, die sich um die Kooperation zwischen dem Technion und deutschen Instituten verdient gemacht haben. Mit Sommer und Glickman ehrt das Preiskomitee dieses Jahr nun zwei Zellbiologen, deren Arbeitsgebiet zu den spannendsten Feldern der aktuellen biochemischen Forschung gehört.
Gemeinsam mit Aaron Ciechanover, der für die Entdeckung des Ubiquitin-gesteuerten Proteinabbaus 2004 zusammen mit Avram Hershko und Irwin Rose den Nobelpreis für Chemie erhielt, entschlüsseln sie Stück für Stück die Qualitätskontrolle der Zelle, deren wichtigstes Element eben das Molekül Ubiquitin ist.
zellrecycling Die Maschinerie des Lebens besteht aus Tausenden unterschiedlichen Proteinen mit verschiedenen Formen und Funktionen, doch diese Vielfalt erzeugt die Zelle mit einem einzigen Universalwerkzeug. Das Ribosom übersetzt die Erbinformation in Eiweißketten, die auf Myriaden verschiedene Arten präzise gefaltet sein müssen – schleicht sich ein Fehler ein, ist das Protein nutzlos oder in vielen Fällen sogar schädlich. Und das passiert die ganze Zeit: Etwa ein Drittel aller neu hergestellten Eiweiße sind fehlerhaft.
Beschädigte Enzyme können die Lebensprozesse empfindlich stören – bei Alzheimer zum Beispiel ist das Ubiquitin-Proteasom-System auf noch unbekannte Weise gestört, wodurch sich schadhafte Biomoleküle anreichern und im Verlauf der Krankheit die Nervenzellen schädigen. In einer gesunden Zelle jedoch heftet sich Ubiquitin an solche fehlerhaften Proteine an und merkt sie damit für das Recycling im molekularen Schredder der Zelle vor, dem Proteasom. Das Proteasom ist ein tonnenförmiger Komplex aus Proteinen, der an seinem Vorderende die Ubiquitin-markierten Eiweiße aufnimmt und sie am Hinterende gründlich zerhackt wieder ausscheidet.
Obwohl der grundlegende Mechanismus bekannt ist, sind viele Details des Systems noch immer unklar. Thomas Sommer zum Beispiel konnte vor einiger Zeit eine wichtige Lücke im Verständnis des Systems schließen: Der klassische Ubiquitin-Proteasom-Mechanismus funktioniert nur für Eiweiße, die frei in der Zelle herumschwimmen. Doch eine äußerst wichtige Klasse von Enzymen schien außer Reichweite – jene in den Membranen, die Außenhaut und innere Trennwände der Zelle bilden. Gerade dort sitzen die entscheidenden Komponenten des Zellstoffwechsels und vieler anderer Mechanismen. Auch diese Enzyme, fand Sommer heraus, erfasst die zelluläre Qualitätskontrolle.
graduiertenschule Der 1964 in Schweden geborene Michael Glickman hatte nach seinem Studium der Chemie an der Hebräischen Universität Jerusalem mehrere Jahre in den USA gelebt. Seit 1998 arbeitet er am Technion, wo er seit 2009 eine Professur innehat. Auch er hat sich mit seinen Forschungsarbeiten über die Signalfunktion des Ubiquitin und seine vielseitigen Funktionen bereits internationales Ansehen erworben.
Zusätzlich engagiert sich Glickman seit Jahren für enge Beziehungen zwischen deutschen und israelischen Instituten, die über reine Forschungsaktivitäten weit hinausgehen. So organisierte er zusammen mit seinem Kollegen Sommer den Besuch einer Delegation des Max-Delbrück-Centrums am Technion und gründete mit Unterstützung der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren eine gemeinsame Graduiertenschule für Nachwuchswissenschaftler beider Institute.
Beide Forscher wollen mit dem Preisgeld ihre langjährige Zusammenarbeit fortführen und die bestehenden Kontakte zwischen dem Technion in Haifa und dem Max-Delbrück-Centrum in Berlin weiter ausbauen. Denn es gibt noch viel zu entdecken – in der zellulären Qualitätskontrolle ebenso wie im Austausch der Wissenschaftler über Landesgrenzen hinweg.
Der Autor ist Chemiker und Online-Redakteur der Zeitschrift »Spektrum der Wissenschaft«.