Aristoteles und Archimedes, Ptolemäus, Galen und Hippokrates – die großen griechischen Gelehrten und ihre Werke bilden noch heute die Grundpfeiler der Philosophie und Naturwissenschaften.
Prachtvolle Handschriften wie etwa ein reich bebildertes Traktat in kalligrafischer Schrift über die Behandlung von Schlangenbissen, eine im heute irakischen Mosul im 13. Jahrhundert angefertigte arabische Übersetzung des griechischen Originals, zeigt, wie mithilfe arabischer, jüdischer und christlicher Übersetzer die Erkenntnisse der Antike von späteren Kulturen rezipiert wurden.
handschriften Die arabische Prachtschrift gehört zu den knapp 100 kostbaren Handschriften und Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, die in einer Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt werden. Die Schau unter dem Titel Juden. Christen. Muslime – Im Dialog der Wissenschaften 500-1500 dokumentiert, wie sich in den Jahrhunderten vor dem Buchdruck über die Schriftkulturen ein reger wissenschaftlicher Austausch entwickelte.
Aufwendig illuminierte und reich illustrierte mittelalterliche Handschriften aus dem Wiener Bestand belegen, wie die jeweiligen Erkenntnisse Eingang in andere Kulturen fanden. Andreas Fingernagel, Sammlungsdirektor an der Österreichischen Nationalbibliothek und Kurator der Schau, betonte: »Durch die arabische Wissensexpansion im 7./8. Jahrhundert entstand ein großes Interesse an der Astronomie und Medizin und ein praktischer Bedarf.«
Jüdische, christliche und muslimische Übersetzer und Gelehrte an den Höfen der Kalifen, der Fürsten sowie an Schulen und den ersten Universitäten fungierten als Mittler und beförderten den Wissenstransfer über die ethnischen und kulturellen Grenzen hinweg. Die Religionen beeinflussten die Akzeptanz einzelner Erkenntnisse und beförderten zugleich die wissenschaftliche Auseinandersetzung.
sammlungen Die in neun Räumen im Obergeschoss des Gropius-Baus präsentierte Schau stellt die Wissensbereiche Medizin und Astronomie in den Mittelpunkt, für die der interkulturelle Dialog besonders fruchtbar war. Die überwiegend originalen Handschriften aus Wien werden dabei ergänzt durch astronomische und medizinische Instrumente aus Berliner Sammlungen.
Zum Auftakt gibt die Ausstellung einen Überblick über die Besonderheiten der Schriftkulturen des europäischen Mittelalters. In jeweils sieben Kapiteln zur Medizin und zur Astronomie wird gezeigt, wie aus der Überlieferung aus der Antike zentrale Werke für die jeweiligen Wissensgebiete entstanden. Ein Zentrum der Forschung und Vermittlung war das im 9. Jahrhundert in Bagdad gegründete »Haus der Weisheit«, an dem jüdische, christliche und arabische Gelehrte arbeiteten.
Im Zuge der arabischen Expansion im Mittelmeerraum fanden sowohl antike wie arabische Werke Verbreitung über Spanien und Süditalien bis in die neu entstehenden Universitäten im westlichen Europa. Zu sehen sind etwa die von jüdischen Gelehrten angefertigten lateinische Ausgaben der Werke des arabischen Arztes Avicenna (973/80-1037), die über die Schule in Toledo Verbreitung in Westeuropa fanden. Ein Kapitel ist dem Wiener Diskurides gewidmet, einem wichtigen Pflanzenbuch und zugleich die älteste wissenschaftliche Handschrift, die erhalten ist aus der Zeit vor 512 n. Chr. mit Abbildungen und Erläuterungen zu fast 400 Heilpflanzen. Durch Übersetzungen ins Arabische und Lateinische fand es im Mittelalter weite Verbreitung.
astronomie In der Astronomie und Astrologie wurden insbesondere die Werke von Aristoteles und Ptolemaeus rezipiert. Der Westen Europas, seit der Spätantike von dem oströmischen Reich abgeschnitten, kam erst über arabische Übersetzungen im Zuge der arabischen Expansion im Mittelmeerraum wieder in Kontakt mit dem antiken Wissen.
Alle drei monotheistischen Religionen brauchten die Erkenntnisse der Astrologie, um ihre großen Feiertage wie Pessach, Ostern und Ramadan festzulegen, für die sie Antworten in der Astrologie fanden. So wurden bei aller Skepsis gegenüber den Wissenschaften auch die religiösen Institutionen zu Impulsgebern für den Wissenstransfer.
Die Ausstellung dokumentiert eindrucksvoll die Bedeutung des interkulturellen Dialogs für die Entwicklung der Wissenschaften seit dem Mittelalter. Die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bleiben allerdings ausgeblendet. Von Kriegen, Pogromen und religiösen Fanatikern, nicht zuletzt in der Zeit der Kreuzzüge, erfährt man nichts. So bleibt das Bild der mittelalterlichen Wissensgesellschaft unvollständig.
»Juden. Christen. Muslime – Im Dialog der Wissenschaften 500-1500«, Mi bis Mo 10–19 Uhr, bis 4. März 2018
www.berlinerfestspiele.de