Vom 28. bis 30. Juni lud die Bildungsabteilung im Zentralrat zu der Tagung »Jüdische Gottesverständnisse« ein. Im Ignatz-Bubis-Zentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main wurde ein erstaunlich breites Themenspektrum von der Antike bis zur Gegenwart diskutiert. Es gehe darum, »philosophische und religiöse Fragen, Diskurse, Dissense« gerade in ihrer Vielfalt bewusst zu machen, betonte Sabena Donath, Leiterin der Bildungsabteilung, in ihren Eröffnungsworten.
Neben der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS) war erstmals auch die Frankfurter Goethe-Universität Mitveranstalterin – im Programm vertreten durch Matthias Lutz-Bachmann und Christian Wiese, Inhaber der Martin-Buber-Professur für jüdische Religionsphilosophie. Nicht nur in diesem Sinne stand die Veranstaltung im Zeichen des Aufbruchs: Die Konzentration auf religionsphilosophische Kernfragen des Judentums war keineswegs die Wiederholung von Altbekanntem. Der rege Publikumsandrang, der auch manchen der Gastredner überraschte, zeigte, dass ein großes Bedürfnis nach der Diskussion dieser Fragen besteht.
Sprache »Das Reden über Gott ist eine Sprache, die wir erlernen müssen«, bilanzierte der wissenschaftliche Direktor der Bildungsabteilung, Doron Kiesel. Grußworte, Vorträge und Workshops von 23 renommierten Rednern boten vielfältige Gelegenheiten, mit dieser Sprache vertrauter zu werden.
Dabei wurde schnell klar: Oberthema der höchst unterschiedlichen Beiträge war letztlich die Spannung, die zwischen der Pluralform im Titel – Gottesverständnisse – und dem unbedingten Singular ihres Gegenstands – Gott – entsteht. »Der Monotheismus, darauf scheint es ja wohl anzukommen«, begann Hanna Liss (Heidelberg) den ersten längeren Vortrag und zermalmte sogleich den Gemeinplatz, jeder Monotheismus richte sich an denselben Gott.
In einer prägnanten Übersicht zu verschiedenen Stationen jüdischer Bibelhermeneutik wies sie auf die Spezifik des Verhältnisses Gottes zum Volk Israel hin, das sich gegen christliche Universalitätsansprüche behaupten musste. Liss referierte dazu auch die Position von Benno Jacob, der 1944 festhielt: »Nicht metaphysisch soll Gott verstanden werden, sondern geschichtlich.«
quellen Wie Peter Schäfer (Berlin) eindrucksvoll in seinem Abendvortrag nahelegte, wird aber selbst die monotheistische Gewissheit geschichtlich brüchig. Unter dem Titel »Ein G’tt?« arbeitete er zunächst vormonotheistische Figurationen JHWHs heraus. Dem folgten zahlreiche antike Quellen zur Vergöttlichung Henochs: Der biblische Erzvater sei in apokryphen und frühen mystischen Texten, selbst am Rande rabbinischer Debatten, zu einer quasi-göttlichen Gestalt erhoben worden. »Das ist kein Randthema«, betonte Schäfer.
Der nächste Vormittag widmete sich mehr dem »Gott der Philosophen«, der zwar zweifelsfrei monotheistisch und metaphysisch, aber darum nicht leichter verfügbar ist. Frederek Musall (Heidelberg) ging in diesem Sinne auf verschiedene Implikationen des Bilderverbots ein.
götzenbilder Diese reichten weit über das Verbot, Götzenbilder zu errichten, hinaus. »Philosophisch betrachtet konfrontiert das Bilderverbot den Menschen in radikaler Weise mit den Grenzen seiner eigenen Erkenntnis-, aber auch Artikulationsfähigkeit«, so Musall. Hier zeigte sich erneut, dass die Einheit Gottes mitnichten zu einheitlichen Wegen führte, über ihn nachzudenken.
Christian Wiese (Frankfurt) stellte die ethische Dimension der Philosophie Leo Baecks und Abraham J. Heschels vor. Der Liberale Baeck hatte das Judentum anfangs auf eine rein ethische Basis stellen wollen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg erschloss sich ihm die kabbalistisch-»mystische« Dimension jüdischer Religiosität. Die Beschäftigung damit lasse sich, wie Wiese nahelegte, wiederum bei Heschel nachweisen. Der orthodoxe Gelehrte betonte nach der Schoa die Angewiesenheit Gottes auf das menschliche Handeln.
Daniel Krochmalnik, Professor für Religionslehre an der HfJS, führte anschließend in philosophische und philologische Implikationen des Gottesnamens ein. Am Abend folgte der Frankfurter Rabbiner Julian-Chaim Soussan mit Überlegungen zur Annäherung an Gott im Gebet. Für einen passenden musikalischen Ausklang sorgte der israelische Kantor Tzudik Greenwald aus Ramat Gan.
Gegensatz Die Vorträge des letzten Tages waren wiederum zwei scheinbar gegensätzlichen Themen gewidmet – der »rationalistischen« Philosophie von Maimonides und der »mystischen« Tradition der Kabbala, vorgestellt von James A. Diamond (University of Waterloo) und Elke Morlok (Frankfurt).
Kann nach Maimonides jeder Mensch qua Vernunft Zugang zur Wahrheit des Monotheismus finden, so versprechen kabbalistische Traditionen einen Weg zu Gottes verborgenem Wesen, hinter dem sprachlichen Gewand der Tora. Anhand der Geschichte von der Prinzessin und dem Taugenichts erläuterte Morlok, wie hier selbst subtil erotische Züge auf dem Weg der Verinnerlichung zu Gott führen sollen.
Morlok betonte, die kabbalistische Praxis sei dabei meist in keiner Weise als Relativierung des Gesetzes verstanden worden. Auch Diamond wies einleitend nochmals auf die Bedeutung der Orthopraxie hin. Die Zentralstellung der Mizwot lasse sich bekanntlich so zuspitzen, dass man auch als Atheist orthodoxer Jude sein könne.
problem Must a Jew Believe in Anything? Mit diesem Buchtitel des israelischen Philosophen Menachem Kellner fasste Musall das Problem in seinem Vortrag. Offensichtlich kann man die Frage ebenso beherzt bejahen wie verneinen. Aber auch in der Literatur vieler säkularer Juden findet man freilich die Tradition zitiert.
Die Zusammenstellung des ambitionierten Programms ist durchaus als kühn zu bezeichnen: Zu jedem Vortragsthema lassen sich Bibliotheken füllen. Umso mehr muss man die gelungene Umsetzung betonen. Sabena Donath konnte zum Schluss zu Recht feststellen: »Es war eine einzigartige Tagung.«