Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es oft. Doch das funktioniert nicht immer, wie Wissenschaftler des Weizmann-Instituts in Rehovot herausgefunden haben. Vor allem in der Kindheit erlebte Traumata können das Gehirn verändern.
»In unseren Laboren haben wir die Neurobiologie von Stress unter die Lupe genommen«, so Professor Alon Chen gegenüber der »Times of Israel«. »Wir arbeiten bereits seit fünf oder sechs Jahren an dieser Studie, die Teil eines sehr umfangreichen Programms ist«, erklärt ihr Projektleiter weiter. »Wir wollen verstehen, was im Gehirn und im Körper passiert, wenn man Stresssituationen ausgesetzt ist.«
Aber es geht um viel mehr. Wenn man weiß, welche Prozesse und Veränderungen durch Traumata ausgelöst werden, dann lassen sich auch Methoden finden, um diese wieder neutralisieren zu können. So lässt sich verhindern, dass Menschen in ihrem späteren Leben Posttraumatische Belastungsstörungen, kurz PTBS genannt, entwickeln.
Relevante Forschung und belegbare Zahlen
Wie relevant die Forschung dazu ist, belegen die Zahlen – schließlich erfahren laut Deutschem Ärzteblatt 50 bis 70 Prozent aller Menschen mindestens einmal in ihrem Leben ein Trauma, sei es durch einen Unfall, eine Gewalttat oder eine Naturkatastrophe. Nicht wenige von ihnen erkranken später dann an einer PTBS.
In einer Studie untersuchte das Team von Alon Chen vier Gruppen von Mäusen.
Für Israel hat das alles eine ganz besondere Bedeutung, erst recht seit dem 7. Oktober. »Die Bilder von israelischen Kindern, die aus der Geiselhaft der Hamas befreit wurden, sind herzerwärmend«, heißt es dazu in der Präsentation der Forschungsergebnisse durch das Weizmann-Institut. »Aber für die meisten von ihnen ist das erst der Anfang eines langen Rehabilitationsprozesses. Unzählige Studien haben gezeigt, dass die Erfahrung von Krieg, Missbrauch und anderen traumatischen Ereignissen in jungen Jahren das Risiko von Krankheiten, sozialen und psychischen Problemen im späteren Leben deutlich erhöht.«
Die Konfrontation mit einer Stresssituation löst physiologische Reaktionen wie eine erhöhte Herz- und Atemfrequenz sowie einen erhöhten Blutzucker-, Blutdruck- und Cortisolspiegel aus, weiß Experte Chen zu berichten. »Das ist völlig normal und Teil einer gesunden und überlebenswichtigen Abwehr- oder-Fluchtreaktion.« Danach schwächen sich diese ab, und das Gehirn kehrt in sein Gleichgewicht zurück. Wie schnell so etwas geschieht, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und hängt von der genetischen Veranlagung sowie Umweltfaktoren ab. Hält dieser Prozess aber länger an, können sich PTBS oder andere Pathologien einstellen.
In seiner Studie, deren Ergebnis in der Fachpublikation »Science Advances« veröffentlicht wurde, untersuchte das Team von Professor Chen zwar keine Menschen, dafür aber vier Gruppen von Mäusen. Eine wurde in den ersten Lebenswochen einer Umgebung ausgesetzt, in der reichlich Unruhe herrschte, eine zweite erfuhr zusätzlichen Stress durch andere aggressive Nagetiere im »Erwachsenenalter«, eine dritte erlebte Ungemach ausschließlich nach ihrer »Kindheit« und eine vierte nichts von alledem.
Am unteren Ende der sozialen Hierarchie
Die anschließenden Beobachtungen ihres Verhaltens ergaben, dass Mäuse, die unmittelbar nach der Geburt traumatischen Erlebnissen ausgesetzt waren, Verhaltensweisen an den Tag legten, die dazu führten, dass sie sich am unteren Ende der sozialen Hierarchie der Nagetiere befanden.
»Analoge Verhaltensweisen bei Menschen wären ein hohes Maß an Introvertiertheit, sozialer Angst und eine abwehrende Persönlichkeit, die alle als charakteristisch für Posttraumata bekannt sind«, bringt es Juan Pablo Lopez, der an der Studie mitgewirkt hatte, auf den Punkt. Ferner untersuchten die Wissenschaftler Teile der Gehirne der Mäuse: die Nervenzellen des limbischen Systems, das an der Ausbildung von Gedächtnis sowie sozialem und angstbezogenem Verhalten beteiligt ist. »Wir haben daraus keinen Smoothie gemacht. Vielmehr zerlegten wir sie in die einzelnen Zellen und haben diese sequenziert«, erläutert Chen.
Ein frühes Trauma hinterlässt bei verschiedenen Zelltypen Spuren.
Dabei fanden die Forscher heraus, dass ein frühes Trauma bei verschiedenen Zelltypen Spuren hinterlässt und auf molekularer Ebene einiges ins Ungleichgewicht gebracht wurde, was die Verarbeitung erregender und hemmender Signale betraf. Bei den Mäusen, die sowohl im juvenilen Alter als auch danach Stresssituationen ausgesetzt waren, war das besonders auffällig. Und die Wissenschaftler entdeckten ein Zeitfenster, in dem es möglich war, medikamentös dagegen zu steuern.
Unmittelbar nach Erfahrung von frühen Traumata lässt sich mit Diazepam, besser unter dem Namen Valium bekannt, genau dieses Ungleichgewicht wieder korrigieren, sodass Verhaltensauffälligkeiten im späteren Leben vermieden werden können. »Das sollte sicherlich nicht als Empfehlung verstanden werden, junge Traumapatienten mit Medikamenten zu behandeln«, betont Aron Kos, ein ebenfalls an der Studie beteiligter Wissenschaftler. »Aber unsere Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer frühen Behandlung für eine erfolgreiche Rehabilitation.«