Jura

Recht modern

Der Anwalt Alexander Lifschütz schrieb deutsche Verfassungsgeschichte

von Sabine Pamperrien  28.09.2010 09:21 Uhr

Überprüfbarkeit staatlichen Handelns – dafür steht das Bundesverfassungsgericht. Foto: dpa

Der Anwalt Alexander Lifschütz schrieb deutsche Verfassungsgeschichte

von Sabine Pamperrien  28.09.2010 09:21 Uhr

Am 3. Oktober 1890 wurde in Berlin-Pankow einer der glanzvollsten Juristen Deutschlands geboren. Wenn Alexander Lifschütz bei Gericht auftrat, kamen Referendare, Anwälte und Richter als Zuhörer, um von seinen brillanten Plädoyers zu lernen. Viele Entscheidungen des Reichsgerichts zitierten seine rechtlichen Wertungen. 1933 verlor er seine Zulassung, 1934 ging er nach Holland. Noch im holländischen Exil verfasste er im Februar 1945 einen Entwurf für die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland. Eine Erinnerung an sein Wirken zeigt, wie sehr Rechtsstaatlichkeit moderne Demokratien und ihre Gesellschaften konstituiert und integriert.

»Der Jude Lifschütz hat Deutschland den Krieg erklärt.« Am 1. April 1933 postierten sich SA-Männer am Bremer Domshof, um Besucher vom Betreten des Büros von Alexander Lifschütz abzuhalten. Der damals 42-jährige »Jude Lifschütz« war zu dieser Zeit evangelisch und Mitglied des Kirchenvorstands der Friedenskirchengemeinde. Lifschütz’ Eltern stammten aus dem weißrussischen Pinsk, seit dem 15. Jahrhundert Hochburg jüdischen Lebens. Isaac Lifschütz war Chemiker und erfand im Jahr 1900 das Eucerit, das die Salbenbasis für Weltbestseller wie Nivea und Eucerin ist. Beide Eltern waren konfessionslos und dem Protestantismus zugeneigt.

gegen rechtspositivismus Seit 1904 war die Familie in Bremen ansässig. Der Sohn besuchte das humanistische Alte Gymnasium und studierte dann Jura. 1916 ließ er sich in Bremen als Anwalt nieder. 1933 gehörte er zu den national und international angesehensten Anwälten Deutschlands. Zehn Jahre lang war er Hausanwalt von Kaffee Hag, Justiziar des Norddeutschen Lloyd, Vertreter zahlreicher Reedereien und Werften und international gefragter Vertreter von Baumwollexporteuren, Banken und Versicherungen. Während der Finanzkrise sanierte er erfolgreich auf Veranlassung der Reichsregierung die Schröder-Bank. 1931 wurde er zum Mitglied der Kommission für die Schaffung eines neuen Aktienrechts berufen.

Lifschütz war ein Vordenker des modernen Rechts mit seiner klaren Absage an positivistische Auffassungen von Gerechtigkeit. Alles staatliche Handeln müsse überprüfbar sein, und jedem Bürger müsse Rechtsschutz gewährt werden. Folgerichtig forderte er schon 1945 eine höchste Instanz zur Überprüfung von Gesetzen und staatlichen Eingriffen. Die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts habe diese Idee verwirklicht, schrieb er 1953.

Eine andere Forderung konnte sich nicht durchsetzen. Lifschütz wollte die Annullierung aller nach dem 30.1.1933 erlassenen Vorschriften. Erst 1978 wurde mit dem Fall Filbinger die ganze Tragweite dieser Unterlassung einer größeren Öffentlichkeit klar, vielleicht auch, weil erst da die fatale Unmoral einer positivistischen Rechtsauffassung nachvollziehbar wurde. Der Ausspruch des ehemaligen NS-Marinerichters Hans Filbinger »Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein«, wurde ersetzt durch das Bekenntnis zu einer materiellen, staatliches Handeln auf die Einhaltung allgemeingültiger Werte verpflichtenden Rechtsauffassung: »Was damals Unrecht war, kann nie Recht gewesen sein.«

Entnazifizierung Eine Bestellung zum Berater der Anklage bei den Nürnberger Prozessen lehnte Lifschütz ab. Der Gegner der Todesstrafe ging nach Bremen zurück. Dort bestellte der Senat ihn im März 1947 zum Vorsitzenden der Berufungskammer für die Entnazifizierung. Ende 1947 wurde er Senator für politische Befreiung. Rachegedanken waren ihm fremd. Strafe solle in erster Linie die Einsicht des Täters in sein Fehlverhalten fördern. Für die Fairness der Prozesse erließ Lifschütz klare Handlungsanweisungen. Mitglieder der Spruchkammern hatten sich mündlich wie schriftlich jedes vorgreifenden Werturteils zu enthalten und waren gefordert, unparteiisch in sorgfältig abwägender Menschenkenntnis zu urteilen.

Von 1956 bis zu seinem Tod 1969 war Lifschütz Präsident des Bremer Staatsgerichtshofs. Hier schrieb er ein Stück Verfassungsgeschichte. In einem Verfahren, in dem es um die Folgen des KPD-Verbots für die Zusammensetzung der Bremer Bürgerschaft ging, waren er und zwei weitere Richter nicht bereit, ein mehrheitliches Urteil mitzutragen. Bis dato war es im deutschen Recht nicht gestattet, bei Urteilen Mindermeinungen öffentlich zu machen. Lifschütz konstruierte eine Möglichkeit, es dennoch zu tun. Von 1957 bis 1967 nutzte er dreimal dieses Konstrukt, um die in den USA völlig üblichen dissenting opinions öffentlich machen zu können. 1970 wurde dann die Veröffentlichung von Mindermeinungen in das Bundesverfassungsgerichtsgesetz aufgenommen. Die Herstellung dieser Transparenz trug erheblich zum vielbeschworenen Verfassungspatriotismus bei.

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