Es war ein Ende mit Ansage und kam dennoch zu plötzlich. Am Tag vor Silvester hast du uns verlassen: Thorsten Burkhardt, besser als der Egotronic-Frontmann Torsun bekannt. Mit 49 Jahren bist du gestorben, an Krebs. Du warst ein eher unwahrscheinlicher Verbündeter der jüdischen Communitys in Deutschland: ein linksradikaler Punk, drogenaffin und deutschlandfeindlich im besten Sinne.
Deutschlandfeindlich, weil du nie davor zurückschrecktest, deutsche Zustände anzuprangern – den Autoritarismus der sogenannten Mitte, Nazis in Sicherheitsbehörden, faschistische Kontinuitäten im postnationalsozialistischen Deutschland oder auch den Antisemitismus unter Linken. »Der Krieg ist längst vorbei / Fühlst dich als Deutscher frei / Was soll der Scheiß mit der Vergangenheit / Warst nicht dabei«, so sangst du etwa 2011 im Song »Tolerante Nazis«.
Und drogenaffin, weil es wahrlich genug Gründe für einen lähmenden Pessimismus gäbe, du dich aber nie von denen zermürben ließt und stattdessen immer einen Grund fandest, das Leben trotzdem regelrecht zu feiern: »Raven gegen Deutschland«, so lautet der Titel des vielleicht bekanntesten Songs deiner Band. Tanzen als Therapie. Du lebtest immer in dem Moment.
Du hast Antisemitismus bekämpft wie kein anderer in der deutschen Punkszene: unermüdlich, standhaft, konsequent. Du wurdest zur Ikone der israelsolidarischen Linken. Schon 2003 schriebst du im Song »Möllewahn«, 2015 auf dem Album Egotronic c’est moi! erschienen, vorausschauende Zeilen, die so klingen, als wären sie erst am 8. Oktober 2023 geschrieben worden, dem Tag nach dem Massaker der Hamas gegen Israel: »Deutschland schreit auf gegen Israel / Sie haben dort einen Völkermord entdeckt / Und gegen Fakten völlig resistent / Nur dürftig das Ressentiment versteckt.«
Deine Politik war aber auch immer eine praktische. Mitte der 2000er-Jahre warst du Teil der Kampagne »I Can’t Relax in Deutschland«, die sich mit Nationalismus in der Popkultur kritisch auseinandersetzte. Und 2021 initiiertest du die Kampagne »Artists Against Antisemitism« mit, mehr als 800 Künstler haben sich dem Aufruf inzwischen angeschlossen, der vor allem den israelbezogenen Antisemitismus in Kunst und Kultur kritisiert.
Geboren wurdest du 1974. Ein Kind der Provinz: Du wuchst im hessischen Odenwald auf, im deutschen Hinterland, zu dem du ein ambivalentes Verhältnis hattest. 2001 wurde Egotronic in Berlin gegründet, 2005 kam die Band bei Audiolith unter Vertrag, ein Label, dessen Sound sie für immer prägen wird. Im Folgejahr veröffentlichtest du das kultige Debütalbum Die richtige Einstellung. Der Name war zugleich politisches Programm.
Musikalisch brachtest du Beats und Bass in die eher punkorientierten autonomen Zentren der frühen Nullerjahre. Und aus den teils holprigen, verschachtelten Sätzen der antideutschen Theorie machtest du Elektropunk-Refrains zum Mitbrüllen und Mittanzen: »Mit der Mitte in die Zukunft heißt Tradition pur / Der Exportschlager aus Deutschland heißt für immer Leitkultur«, hieß es in einem Song auf dem Debütalbum. Du komponiertest damit den Soundtrack einer linksalternativen Generation: rau, elektronisch, aber ehrlich. Und du inspiriertest mit deinen insgesamt zehn Egotronic-Alben unzählige Bands und Politgruppen.
Du hast den Finger stets in die Wunde gelegt. Auch bei den Linken. Und auch wenn es manchmal dir selbst wehgetan hat. Du erzähltest mir von zerkratzten Tourbussen und gestochenen Autoreifen, aber mit einem unbeeindruckten Schulterzucken, als müsste man sich deutlich mehr Mühe geben, ehe du von deinem entschlossenen Kurs abweichst. Hinter deiner kompromisslosen Kritik stand aber gleichzeitig ein warmherziger, bescheidener Mensch, der immer ein offenes Ohr hatte.
Du bliebst stets humorvoll, auch bis zum Ende. Nach deiner Rheuma-Diagnose 2014 betitelst du ein Album Die Natur ist dein Feind. Die Krankheit machte deinem hedonistischen Lebensstil einen Strich durch die Rechnung. Aber du nahmst es sportlich. Während der Covid-Pandemie veröffentlichst du die Impf-Hymne »Nadel verpflichtend«: »Exzess Rauschmittel schallern / Impfen oder Ampfe – Hauptsache ballern«. Ein Appell an Punks, sich impfen zu lassen – Vernunft als Rebellion. So warst du, Torsun.
Mit deiner Krebs-Diagnose gingst du bewundernswert offen und tapfer um. Im März 2023 machtest du sie in einem Instagram-Beitrag öffentlich. Es war nicht einfach. »Diese Runde Chemo prügelt mich ganz schön nieder«, schriebst du mir Anfang September auf WhatsApp. Dass du palliative Therapie überhaupt versuchtest, war aus Pflichtbewusstsein gegenüber deinen Geliebten. »Ich weiß mittlerweile, dass man Krebs nicht allein hat, sondern die Menschen um einen rum vieles mit durchleiden müssen«, hieß es einer weiteren Nachricht.
»Adieu!« war dein letztes Wort, gepostet nach deinem Tod am 30. Dezember von deiner Frau Selina auf Instagram zusammen mit einem Foto deiner Wahl: von dem jungen Punk Torsun mit gelber Herz-Sonnenbrille. »Torsun, du hast genug gekämpft und dir den Frieden und die Ruhe mehr als wohl verdient«, fügte Selina hinzu. Mehr als 17.000 Likes hat das Foto inzwischen. Du hinterlässt große Fußstapfen, Torsun. Vielen Dank für alles.