Im Fokus des 10. Internationalen Literaturfestivals in Berlin, so versprechen die Veranstalter, stehe dieses Jahr Osteuropa. Leider ist das Festival, das noch bis zum 25. September läuft, für eine derart große Region entschieden zu klein. So wurde die Chance verpasst, sich nur einem Land ausführlich zu widmen. Weniger wäre mehr gewesen.
Immerhin fand am 19. September eine Diskussion zu Antisemitismus und Nationalismus in Ungarn statt. Die Schriftsteller György Dalos und György Dragomán sowie der Philosoph und Soziologe András Kovács sprachen darüber, wie gefährlich die Situation in Ungarn ist, nachdem die rechtsextreme Jobbik-Partei bei den letzten Parlamentswahlen im April zur drittstärksten Kraft des Landes wurde. Eine Partei, die ihren Hass auf Roma und Juden keinesfalls hinter Chiffren versteckt, sondern unmissverständlich und brutal Hetze betreibt.
Vergangenheit Kovács machte deutlich, dass es Nationalismus und Antisemitismus auch im realsozialistischen Ungarn gegeben habe. Jetzt könne man diesen Neigungen freien Lauf lassen. Interessanterweise sei der Antisemitismus bei Jüngeren und Älteren gleich stark vertreten. »Die Handhabung der Geschichte«, so Kovács, »was in Deutschland ›Vergangenheitsbewältigung‹ heißt, hat in Ungarn überhaupt nicht stattgefunden.«
Das hohe Wahlergebnis der Rechtsextremen, betonte Dalos, sei auch dadurch entstanden, dass 50 Prozent der Ungarn nicht zur Wahl gegangen seien. »Die Tatsache, dass solche rechtsextremistischen Parteien ins Parlament kommen«, so der Romancier, »zeugt nicht von einer hohen politischen Kultur. Aber das ist nicht so gefährlich wie die Tatsache, dass dies der Mehrheit der Gesellschaft praktisch egal ist.«
Aus Israel kommen dieses Jahr nur zwei Gäste zum Literaturfestival: der Dichter Israel Bar Kohav sowie der Schriftsteller und Musiker Assaf Gavron. Dieser hat in Deutschland bereits seinen Nahost-Thriller Ein schönes Attentat (2008) und den Science-Fiction-Roman Hydromania (2009) vorgelegt. Sein dieser Tage endlich auch hierzulande erschienener Roman Alles Paletti – der Titel deutet es bereits an – thematisiert nicht den Nahost-Konflikt. Vielleicht ist das Buch auch deswegen bislang Gavrons größter Erfolg in Israel.
Umzugshelfer Der Israeli hatte Alles Paletti bereits 2003 ausländischen Verlagen angeboten. Schnell musste er jedoch erkennen, dass eine Geschichte über israelische Umzugshelfer in New York, die sich mit der Mafia anlegen, nicht dem entspricht, was sich amerikanische oder europäische Verlage von einem israelischen Schriftsteller erhoffen. Mehr noch: Israelis, die keine Uzis, sondern Möbel tragen – und währenddessen Witze reißen –, scheinen Verleger und Rezensenten geradezu in Verwirrung zu stürzen.
»In meinem Buch«, sagt Gavron, »fragt ein amerikanischer Jude die israelischen Möbelpacker: ›Nach 3.000 Jahren leidvoller Geschichte machen Juden jetzt so etwas? Möbel schleppen?!‹ Und letzte Woche hat mich hier in Berlin ein Journalist gefragt: ›Also wirklich, wieso machen Juden nach 3.000 Jahren so eine Arbeit?‹« In dieser Frage, sagt Gavron, liege fast so etwas wie eine Art umgekehrter Rassismus. »Als ob alle Juden Schriftsteller und Intellektuelle sein müssten! Warum dürfen Israelis nicht alle denkbaren Arbeiten machen?«
Alles Paletti ist nicht nur ein sehr israelischer Roman, er ist vor allem ein ungemein rasantes, witziges und spannendes Roadmovie. Gavron ist das Lachen indes nicht vergangen: Sein nächster tragikomischer Roman handelt von der Gründung einer illegalen Siedlung in den besetzen Gebieten.
Abgesehen von Begegnungen mit Gavron oder Bar Kohav lädt das diesjährige Literaturfestival auch zu Lesungen aus den Werken Stanislaw Lems und Tadeusz Borowskis ein. Zudem präsentiert es »literarische Erkundungen aus dem Leo-Baeck-Institut« sowie den kanadischen Autor Yann Martel, der über den »Versuch, einen Roman über den Holocaust zu schreiben« berichtet.
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