Erinnerungskultur

Räume für Erfahrungen

Jüdisches Museum Berlin Foto: Günter Schneider / JM Berlin

Themen wie Erinnerungskultur und Heimat knüpfen unmittelbar an das traditionelle Metier der kulturhistorischen Museen an. In Zeiten ubiquitärer Wanderungsbewegungen werden deren Grundgedanken untrennbar mit einem dritten Thema in Verbindung gebracht: der Migration. Doch wenn Museen die Erinnerungskultur(en) der Einwanderer lediglich unter der Rubrik Migration präsentieren und sie dabei nicht in das dominante deutsche Erinnerungsnarrativ einflechten, bleibt auf den Migranten der Blick des Fremden haften.

Seit etwa einem halben Jahrhundert sind Museen jedoch dabei, ihr Selbstverständnis zu verändern. Sie wollen nicht mehr als Wunderkammern fremder Welten begriffen werden, die einem exklu­siven Publikum spezialisiertes Wissen anbieten. Stattdessen wollen Museen sich in Räume verwandeln, wo soziale Verantwortung für unsere Gesellschaft getragen wird. In ihren Ausstellungen und Diskussionen knüpfen sie idealerweise an die Erinnerungskultur(en) unterschiedlicher ethnischer, religiöser und sonstiger Communitys an.

Umdeutung Sich zur sozialen Verantwortung zu bekennen, bedeutet auch, sich mit Konzepten, die heute eine problematische politisch-gesellschaftliche Konjunktur haben, auseinanderzusetzen. Zu solchen Konzepten gehören in Zeiten des aufstrebenden Nationalismus auch Heimat und Erinnerungskultur. Zwar sind diese Begriffe im rechtspopulistischen Diskurs völkisch besetzt. Es gilt sie allerdings, so meine Überzeugung, nicht schlicht zu widerlegen, sondern sie vielmehr umzudeuten. Museen bieten sich als ein Ort an, an dem dies geschehen kann.

Schließlich kann und soll eine solch kritische Umdeutung durch die differenzierte Repräsentation der Geschichte und Gegenwart verschiedener Migranten- und Minderheitencommunitys in Museen erreicht werden. Dabei haben die Jüdischen Museen gerade aufgrund ihres Status als Vertreter einer Minderheit die besondere Verantwortung, der Instrumentalisierung einzelner Begriffe durch den rechtspopulistischen Diskurs eine Praxis entgegenzusetzen, die eine Neukonzeption der deutschen Erinnerungskultur ausruft. Wie und durch wen aber kann eine solche Praxis gestaltet werden?

Muster Ein Blick auf die Ausstellungen verschiedener Jüdischer Museen, die sich mit der größten jüdischen Community, die in Deutschland nach 1945 ansässig wurde – den Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion – auseinandersetzen, offenbart ein Muster. Die Repräsentation erfolgte im vergangenen Jahrzehnt ausschließlich unter dem Schlagwort der Einwanderung. Bekannt wurden Ausstellungstitel wie Von ganz weit weg – Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion oder Ausgerechnet Deutschland! Jüdisch-russische Einwanderung in die Bundesrepublik.

Diese migrationszentrierte Kontextualisierung war ein wichtiger und notwendiger Schritt, um die Besucher mit dieser Community vertraut zu machen und für ihren Lebensalltag zu sensibilisieren. Jedoch besitzt die Erinnerungskultur russischsprachiger Juden bis heute keinen festen Platz im dominanten deutsch-jüdischen Erinnerungsnarrativ, das vor allem durch die tragischen Erfahrungen der Schoa geprägt ist.

Dynamiken Die soziale Verantwortung der Jüdischen Museen verlangt, der Marginalisierung der Erinnerungen von etwa russisch- und ukrainischstämmigen Juden entgegenzuwirken und ein inklusives Narrativ der deutschen Erinnerungskultur zu schaffen. Dabei muss ihre Geschichte und Gegenwart als selbstverständlicher Teil der deutsch-jüdischen Erinnerungskultur sichtbar gemacht werden. Das gelingt nicht, indem man diese Community in eine besondere »Migrationsecke« innerhalb der Museen packt. Vielmehr muss dort die gesamte deutsche Gesellschaft als eine Migrationsgesellschaft verstanden werden.

Um die deutsche und deutsch-jüdische Erinnerungskultur durchlässiger und offener zu gestalten, hilft das Konzept der »multidirectional memory« von Michael Rothberg. Es soll nicht um einen Wettbewerb von Erinnerungen gehen, sondern verschiedene Narrative sollen in ihren unterschiedlichen Dynamiken miteinander verflochten werden. Allerdings ist bisher eine miteinander konkurrierende Gegenüberstellung der Erfahrungen gängig: Auf der einen Seite befinden sich die sogenannten alteingesessenen Juden als Opfer der Schoa, auf der anderen Seite stehen die Juden aus der ehemaligen Sowjetunion als Sieger im Zweiten Weltkrieg. Diese Erfahrungen scheinen unvereinbar zu sein.

Gänzlich unsichtbar bleiben dagegen die Erinnerungen vieler Jüdinnen und Juden, die in Ghettos und Konzentrationslagern auf dem rumänischen Territorium, das später an die Sowjetunion abgetreten wurde, überlebten. Oder derjenigen, die im westlichen Teil der Ukraine oder in baltischen Gebieten unter den Nazis gelitten haben. Oder derjenigen, die stalinistische Repressionen Schulter an Schulter mit der deutschen Minderheit in der Sowjetunion überlebten. Diese Erzählungen können in ihrer Multidirektionalität und Multiperspektivität als Verflechtungsgeschichte präsentiert werden und dadurch die marginalisierten Erinnerungsnarrative innerhalb der deutschen und deutsch-jüdischen Erinnerungskultur sichtbar machen.

Mittelpunkt Und wo bleibt hier die Heimat? Heimat ist ein Begriff, der ständig in verschiedene Richtungen ausgehandelt wird. Zum einen ist es notwendig, der gegenwärtigen politischen Heimatdebatte etwas entgegenzusetzen. Zum anderen ist Heimat immer ein Konstrukt, das einen spezifischen physischen und symbolischen Raum erfordert. Museen können zu einem solchen Raum werden.

Denn Heimat bedeutet auch Zuhause. Jüdische Museen können für die Menschen, deren Geschichte und Gegenwart sie präsentieren, zu einem Zuhause werden, indem sie nicht lediglich ihre Erinnerungen und Lebensrealitäten als Informationen ausstellen, sondern ihnen das Gefühl des Vertrautseins, des Sich-Wohlfühlens und des Respekts entgegenbringen – damit nicht die Sammlungen als Selbstzweck, sondern die Menschen in den Mittelpunkt rücken und Teil des musealen Raums werden.

Damit sie ihre Geschichten aus ihrer Perspektive erzählen und auch über die Art, wie diese Geschichten erzählt werden, vom Anfang bis zum Ende als gleichberechtigte Akteure mitbestimmen. Denn bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah Rudolf Hallo, der Gründer der jüdischen Abteilung des staatlichen Museums Kassel, die Aufgabe der Museen darin, Vertrauen zu wecken und dadurch Achtung und Aufgeschlossenheit zu schaffen. So einfach das klingt, die Umsetzung muss noch erfolgen.

Die Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Akademieprogramme der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin. Zum selben Thema wird sie auf der Tagung » Migration, Verlust und Utopie. Von der jüdischen Sehnsucht nach Heimat« der Bildungsabteilung im Zentralrat (7.–9. März in Frankfurt am Main) einen Workshop leiten.

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